Bundestrainer Hansi Flick gab nach dem DFB-Krisengespräch keinen Kommentar ab. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Boris Roessler/dpa)

Hansi Flick steuerte seinen dunklen Dienstwagen aus der Tiefgarage und brauste wortlos davon – immer noch als Bundestrainer.

Dass er das nach dem rund zweistündigen WM-Krisengipfel mit Verbandspräsident Bernd Neuendorf und DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke weiter im Amt als wichtigster Fußball-Lehrer tat, blieb in der Dunkelheit außerhalb Frankfurts für fast die Dauer eines Spiels offen. Erst 85 Minuten nach Flicks Abfahrt vermeldete der DFB das entscheidende Ergebnis der Aufarbeitung des erneuten Vorrunden-Debakels in Katar: Die DFB-Spitze vertraut weiter in Flick, der nach dem Fehlschlag bei seinem ersten Turnier nun bei der Heim-EM 2024 liefern soll.

«Wir haben volles Vertrauen in Hansi Flick»

«Wir sind gemeinsam der Überzeugung, dass die Europameisterschaft im eigenen Land eine große Chance für den Fußball in Deutschland darstellt. Unser Ziel ist es, dieses Turnier sportlich erfolgreich zu gestalten. Wir haben volles Vertrauen in Hansi Flick, dass er diese Herausforderung gemeinsam mit seinem Team meistern wird», äußerte Neuendorf in der DFB-Mitteilung. Das heißt: Auch Flicks Trainerstab darf seine Arbeit fortsetzen.

Auch Flick stellte den Blick nach vorne ins Zentrum seiner Erklärung. «Mein Trainerteam und ich blicken optimistisch auf die Europameisterschaft im eigenen Land. Wir als Mannschaft können viel mehr erreichen, als wir in Katar gezeigt haben. Wir haben dort eine große Chance verpasst.» Selbstkritisch fügte er hinzu: «Daraus werden wir unsere Lehren ziehen.» Flick betonte, dass er «Vertrauen in den heute verabredeten, gemeinsamen Weg mit Bernd Neuendorf und Aki Watzke» habe. «Wir alle möchten, dass sich bei der Heim-EM 2024 wieder ganz Deutschland hinter der Nationalmannschaft versammelt.»

Kein Schnellschuss bei Bierhoff-Nachfolge

Ursprünglich war die Krisen-Runde als Vierer-Treffen geplant. Doch mit der rasend schnell erfolgten Demissionen von DFB-Direktor Oliver Bierhoff war bereits zu Wochenbeginn eine personelle Konsequenz gezogen worden. Ein Schnellschuss bei der Nachfolge des nach 18 Jahren abgelösten DFB-Direktors wird es nicht geben. «Hinsichtlich der Nachfolge von Oliver Bierhoff haben wir uns darauf verständigt, zunächst innerhalb des DFB über die künftige Struktur dieses Aufgabenbereichs zu beraten, um anschließend eine Personalentscheidung zu treffen», sagte Neuendorf. Die nächsten Länderspiele als erste EM-Testpartien sind erst im März.

Diese Diskussion könnte der DFB-Chef zunächst am Donnerstag in einer Sitzung mit den Landesverbands-Präsidenten führen. Am Freitag tagen dann das DFB-Präsidium und der DFB-Vorstand. Der medial für die Bierhoff-Nachfolge gehandelte Ex-Nationalspieler Fredi Bobic winkt derzeit ab. «Ich habe einen Job, ich fühle mich sauwohl bei Hertha», sagte der Sport-Geschäftsführer des Berliner Bundesligisten. Der 51 Jahre alte Europameister von 1996 riet dem DFB vielmehr eindringlich dazu, sich zunächst «um die Inhalte, um Profile» zu kümmern – und nicht um Personen. So kommt es nun auch.

Deutsche Stärke im Nachhinein relativiert

Vor dem angesetzten Analyse-Treffen hatte es erst mal ein Versteckspiel gegeben. Vergebens warteten Reporter und Fotografen am Frankfurter DFB-Campus auf das Trio. Das hatte sich zur Aufarbeitung des WM-Scheiterns in dem neun Kilometer entfernten Luxushotel außerhalb Frankfurts verabredet, in dem das Nationalteam öfter vor Länderspielen logiert.

Fotos der «Bild»-Zeitung zeigten, wie Flick mit Handy in der einen und Jacke in der anderen Hand zum Hoteleingang schritt. Neuendorf hatte eine Aktentasche dabei. Und Watzke kam mit einem silbernen Rollkoffer. Später wurde Flicks Auto in die Tiefgarage gefahren. Der im Sommer 2021 geschlossene Vertrag mit dem 57-Jährige läuft bis nach dem Turnier.

Viel WM-Fußball hatte Flick in den Tagen nach der Rückkehr aus Katar nicht geschaut. Dafür führte er viele Telefonate mit Vertrauten, erörterte die Lage, hörte sich Meinungen an. Als zentrale Erkenntnis seiner WM-Analyse stand, dass viel mehr drin gewesen wäre bei seinem ersten Turnier als Bundestrainer – trotz der negativen Schwingungen abseits des Platzes wie die übergroße Katar-Debatte mit der «One Love»-Kapitänsbinde.

Keine Mannschaft verzeichnete in der Gruppenphase mehr Torschüsse als die deutsche, nämlich 69. Aber es landeten nur sechs im Tor. Das Nationalteam kam nicht in den von Flick spätestens in der K.o.-Phase erwarteten Turnier-Flow. «Die Summe der Spiele hat dazu beigetragen, dass wir ausgeschieden sind», analysierte der Bundestrainer.

Mit dem Aus von Japan und Spanien im Achtelfinale hat sich allerdings auch die Stärke der deutschen Vorrunden-Gruppe im Nachhinein relativiert. Das war übrigens auch schon bei der missglückten EM 2021 unter Joachim Löw der Fall gewesen: Die Mitglieder der Hammer-Gruppe Deutschland, Frankreich und Portugal flogen vor einem Jahr alle im Achtelfinale raus.

Blick nun nach vorn auf die Heim-EM

Der Blick geht aber nun nach vorne. Die Heim-EM in anderthalb Jahren eröffnet die Chance, die Nation wieder hinter der Nationalmannschaft zu versammeln. Neuendorf und Watzke kamen nicht zum Ergebnis, dass ein völlig unbelasteter Neuanfang ohne Bierhoff und auch Flick angeraten wäre. Auf dem Trainermarkt gibt es aktuell auch kaum gute Alternativen.

Flick hat in 16 Monaten eine enge Verbindung zu seiner Mannschaft aufgebaut. Er war aber auch ganz besonders eng mit Bierhoff verbunden, der noch vor der WM-Analyse seinen Posten räumen musste. Für den Bundestrainer war das ein Schlag. Er empfindet die Fokussierung der Schuld auf seinen Freund und Vertrauten als Wahnsinn.

Tief ließ Flicks öffentliches Statement blicken: «Meinem Trainerteam und mir fällt im Moment die Vorstellung schwer, wie die durch Olivers Ausscheiden entstehende Lücke fachlich und menschlich geschlossen werden kann.» Zu einem eigenen Rücktritt sah er sich nicht veranlasst. Flick spürte auch eine Verantwortung gegenüber seinem Trainerteam, dass ihm zum DFB gefolgt war, teils aus bestehenden Jobs.

«Es war jetzt Zeit, dass jemand anderes kommt», sagte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger zur Demission von Bierhoff nach 18 DFB-Jahren. Der Weltmeister von 2014 wünscht sich nahe am Team einen Nachfolger, «der vielleicht unbequemer ist für die Spieler, vor dem die Spieler auch Respekt haben». Womöglich ein Kontra-Punkt zum Harmonie getriebenen Flick.

Klaus Bergmann, Arne Richter und Eric Dobias, dpa

Von