Deutsche Autobauer hinken auf dem chinesischen Markt hinterher. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Song Weiwei/XinHua/dpa)

Würde man die deutsche Autobranche und ihren wichtigsten Absatzmarkt China als Liebespaar beschreiben, stünde dort als Beziehungsstatus wohl zumindest: Es ist kompliziert. Lange Lockdown-Politik, Chipmangel, dazu kommen nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die deutschen Diskussionen über zu hohe Abhängigkeit von einzelnen Märkten. Gleichzeitig geraten die deutschen Hersteller bei wichtigen Technologien immer mehr ins Hintertreffen, verlieren Marktanteile oder müssen – wie jüngst Mercedes-Benz – ihre Preise deutlich senken.

Wie sich das in Zahlen ausdrückt, hat der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer berechnet. Während der Markt in China in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum insgesamt um knapp 15 Prozent zulegen konnte, haben die deutschen Anbieter ordentlich Federn gelassen. Sowohl die VW-Konzernmarken als auch BMW/Mini und die Autosparte von Mercedes-Benz setzten weniger Wagen ab als von Januar bis September 2021. Der Marktanteil von VW schrumpfte von 17,5 auf 14,1 Prozent, bei Mercedes ging es von 4,1 auf 3,4 Prozent nach unten, bei BMW von 4,6 auf 3,5 Prozent.

«Das Wettbewerbsumfeld ist deutlich gestiegen, und die Produkte der Deutschen haben ein Stück weit Glanz verloren», sagt der Leiter des Center Automotive Research (CAR). Im Batteriegeschäft seien die Deutschen gerade einmal im Mittelfeld – batterieelektrische Fahrzeuge in China würden vom US-Konzern Tesla oder von den chinesischen Herstellern BYD oder Nio gemacht. Und auch bei den in China beliebten Softwarefunktionen hinkten die Hersteller aus Deutschland hinterher.

Chinesische Verbraucher haben speziellen Geschmack

Volkswagen und Audi beispielsweise hatten auf ihrem mit Abstand wichtigsten Markt bei manchen Modellen Probleme, den Geschmack der Kundschaft präzise zu treffen. Obwohl sich die Zahlen zuletzt wieder besser entwickelten, vermissten chinesische Verbraucher etwa spezielle Bord-Software und Entertainment-Funktionen, die unter heimischen Anbietern oft Standard sind. Bei solcher Ausstattung gebe es klaren Nachholbedarf, heißt es bei hohen Entscheidern in Wolfsburg: «Es gibt die Erwartung, dass Elektromobilität als etwas Cooles, Modernes, Zukunftsorientiertes präsentiert wird.» Dazu gehöre das Ziel, mehr vor Ort zu entwickeln, um diesen Ansprüchen besser nachzukommen.

Die Verkäufe der VW-Gruppe im Reich der Mitte waren zum Halbjahr gegenüber den ersten sechs Monaten 2021 um ein Fünftel eingebrochen. Im Oktober konnte die Gruppe in China immerhin schon 11,3 Prozent mehr Fahrzeuge loswerden als vor einem Jahr – über die gesamte Strecke seit Januar lag sie allerdings noch um 5,9 Prozent im Minus. VW will 2022 wieder auf Absatzzahlen wie vor der Corona-Krise kommen. Insbesondere die Auslieferungen der zunächst unter den Erwartungen angelaufenen elektrischen ID-Reihe sollen weiter zunehmen.

Auch BMW hat in China große Pläne. Bis 2030 wollen die Münchner über die Hälfte ihrer vollelektrischen Autos dort verkaufen. Im Februar übernahmen sie die Mehrheit am chinesischen Gemeinschaftsunternehmen BMW Brilliance Automotive (BBA), im Juni kam am weltweit größten BMW-Standort Shenyang ein weiteres Werk vor allem für E-Autos hinzu. Beim Absatz lag BMW in den ersten neun Monaten deutlich unter dem Vorjahreswert, zuletzt gingen die Zahlen wieder nach oben.

Mercedes legte bei den Verkäufen in China von Juli bis September ebenfalls wieder deutlich zu. Allerdings haben die Stuttgarter auch für ihr sehr teures E-Modell EQS an der Preisschraube drehen müssen. Von über 30.000 Euro Nachlass war die Rede, Produktionschef Jörg Burzer sprach von leichten Anpassungen. Aber: Der EQS sei immer noch das teuerste E-Auto auf Chinas Markt.

Licht und Schatten für die deutschen Autobauer

So langsam scheinen die Deutschen also zumindest wieder insgesamt mehr verkaufen zu können. Für Dudenhöffer ist das aber kein Grund, sich zurückzulehnen. Beim autonomen Fahren drohe man weiteren Boden zu verlieren: Während in chinesischen Großstädten schon Robotaxis unterwegs seien, werde das Thema in Deutschland an vielen Ecken eingekürzt – «weil man derzeit nicht sieht, wie man Geld damit verdienen kann». Ein Beispiel sei das beendete Projekt von Argo AI, VW und Ford. «Damit gibt man den Chinesen die besten Chancen, einen Wettbewerbsvorteil auszubauen, der die wirklich überlegen macht.»

Andere Entwicklungen seien hingegen positiv. BMW etwa sei bei der Elektromobilität sehr dynamisch unterwegs. Volkswagen sei bemüht, die Fehler der Vergangenheit zu beheben. Die Software-Sparte Cariad betreibt inzwischen eine eigene Niederlassung in China, sie soll dort alltagstaugliche Technologien für das automatisierte und autonome Fahren vorbereiten. VW kündigte auch ein Joint-Venture mit dem auf künstliche Intelligenz spezialisierten Unternehmen Horizon Robotics an. Das wertet Dudenhöffer als wichtigen Schritt: Die Chips von Horizon Robotics seien führend und hätten genug Rechenpower, um das automatisierte und autonome Fahren vollständig möglich zu machen.

Licht und Schatten also für die deutschen Autobauer in China und eine Aufgabe, die zwar schwierig, aber lösbar erscheint. Die Lockdowns haben jedoch nicht nur Autobauern, sondern der gesamten deutschen Industrie schmerzliche Hinweise darauf gegeben, was es bedeutet, zu stark von einem Einzelmarkt abhängig zu sein. Die Bundesregierung hat mit ihren Vorbehalten gegenüber chinesischen Investitionen in Deutschland Hinweise auf ihre neue Haltung zum Reich der Mitte gegeben. Und das Säbelrasseln Pekings in Richtung Taiwan bringt die Frage auf den Tisch: Was wäre, wenn?

Sollte der chinesische Markt plötzlich wegbrechen, sind die Folgen für die deutschen Autobauer für Dudenhöffer klar: «Dann kann man die wegschmeißen.» China mache 40 Prozent des Absatzes und 50 bis 60 Prozent des Profits aus. Gehe das verloren, werde der Stellantis-Konzern den Markt in Europa machen. «Wir würden bei unserer Industrie die Kostenvorteile und die lukrativsten Märkte über Nacht verlieren und uns vom technischen Fortschritt abschneiden. Das wäre das langfristige Sterben der deutschen Autoindustrie.»

Von David Hutzler, Jan Petermann und Roland Losch, dpa

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