Das Logo vom FC Bayern München ist am Vereinsgelände an der Säbener Straße zu sehen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Joshua Kimmich fand schon vor dem offiziellen Vollzug des spektakulären Trainerwechsels von Julian Nagelsmann zu Thomas Tuchel ruhmreiche Abschiedsworte. «Ich kann nur sagen, dass Julian Nagelsmann ein überragender Trainer ist. Ich würde sagen, dass er locker in den Top 3 meiner besten Trainer ist», sagte der Nationalmannschafts-Kapitän nach turbulenten Stunden beim deutschen Fußball-Rekordmeister.

Vor einer detaillierten Bewertung bei dem «heißen Thema» wollte der 28-Jährige aber im mehrere hundert Kilometer entfernten Quartier der Nationaelf die Bestätigung seines Vereins abwarten. 

Der 2021 für eine Rekordablöse im zweistelligen Millionenbereich verpflichtete Nagelsmann, der in dieser Woche noch beim Skifahren in Österreich weilte, wurde vor dem Start ins Wochenende nicht mehr an der Säbener Straße gesehen. Kamerateams und Fotografen belagerten das Vereinsgelände – auch in der Hoffnung, Tuchel ablichten zu können.

Tuchel soll Nagelsmann beerben

Der Münchner Trainer-Knall schreckte eine Woche vor dem Klassiker des Tabellenzweiten gegen Spitzenreiter Borussia Dortmund die Bundesliga auf und war auch ein heißes Thema in der finalen Vorbereitung der Nationalmannschaft auf das Länderspiel am Samstag gegen Peru. «Es wird nicht so sein, dass das alle beflügelt», sagte Bundestrainer Hansi Flick. «Wir waren natürlich auch sehr überrascht über die Schlagzeilen», sagte Nagelsmanns Vorgänger als Bayern-Chefcoach. 

Die nach der Abreise des verletzten Jamal Musiala verbliebenen Münchner Kimmich, Leon Goretzka und Serge Gnabry trabten im Frankfurter Regen beim Training zu dritt vorne weg – ins Gespräch vertieft. «Solche Diskussionen beschäftigen einen natürlich, wenn es um die Trainerposition im eigenen Verein geht. Das ist der Trainer, mit dem man tagtäglich zusammenarbeitet», gestand Kimmich. 

Die Bosse schwiegen zur spektakulären Trainerfrage, als sie mit ernsten Mienen am Vereinsgelände vorfuhren. Vorstandschef Oliver Kahn, Sportvorstand Hasan Salihamidzic und Aufsichtsratschef Herbert Hainer äußerten sich zunächst weder zu Nagelsmanns Aus noch zur kolportierten Lösung Tuchel. Der 49-Jährige mit BVB-Vergangenheit soll wohl einen Null-auf-Hundert-Start beim deutschen Rekordmeister hinlegen. 

Der Verein war offensichtlich davon überrascht worden, dass die spektakuläre Trainer-Entscheidung am späten Donnerstagabend über externe Kanäle publik geworden war. Der international gut vernetzte Transferexperte Fabrizio Romano hatte zuerst berichtet, dass die Münchner eine Trennung von Nagelsmann in Erwägung ziehen. Spät am Abend meldete dies die «Bild»-Zeitung als fix.

Die Nachfolge des 35-jährigen Nagelsmanns, für den die Münchner im Sommer 2021 viel Geld an RB Leipzig zahlten und den sie mit einem Fünf-Jahres-Vertrag ausstatteten, soll der derzeit vereinslose Tuchel antreten. Der 49-Jährige war in dieser Spielzeit beim FC Chelsea entlassen worden, mit dem er 2021 die Champions League gewonnen hatte. 2020 unterlag der Ex-Coach von FSV Mainz 05 und Borussia Dortmund mit Paris Saint-Germain den Münchnern im Finale der Königsklasse. Pikant wäre, dass Tuchel die Bayern ausgerechnet im Topspiel gegen den BVB in einer Woche in München erstmals coachen könnte. 

Für den FC Bayern sind noch alle drei Titel möglich

Tuchel arbeitete etwa bei PSG schon mit namhaften Stars zusammen. Er eckte bei seinen vorherigen Stationen aber auch an. Unumstritten war menschlich auch der eloquente Nagelsmann in München nicht. Die Bayern-Bosse erkannten trotz eines top besetzten Kaders zudem keine nachhaltige sportliche Verbesserung unter dem extrovertierten Coach, der mit dem Achtelfinal-Coup gegen Paris seinen größten internationalen Bayern-Erfolg feierte. Kahn und Co. sahen durch ständige Leistungsschwankungen die Saisonziele gefährdet. In Bundesliga, Champions League, DFB-Pokal sind noch alle drei Titel möglich. 

Der Zeitpunkt der aufsehenerregenden Personalie kommt vor dem BVB-Gipfel sowie den K.o.-Duellen mit dem SC Freiburg im DFB-Pokal und Manchester City in der Königsklasse überraschend, begründet sich aber in der aktuellen Gesamtkonstellation. Trainerwechsel sind immer auch eine Frage der Alternative. Tuchel ist auf dem Markt – und international begehrt. Angeblich war er auch Kandidat bei Real Madrid und Tottenham Hotspur. Entweder jetzt oder wieder nicht, könnte die Frage beim Bayern-Kalkül gelautet haben.

Im Frühjahr 2018 hatten die Münchner bei Tuchel, den schnell ein Duell mit den hochgeschätzten City-Coach Pep Guardiola erwarten würde, gezögert. Damals hatte Uli Hoeneß zu lange gehofft, Jupp Heynckes doch noch zum Weitermachen überreden zu können. Am Ende kam Niko Kovac, der trotz des Gewinns von Meisterschaft und DFB-Pokal im zweiten Amtsjahr vorzeitig gehen musste – und mit dem Bayern nicht glücklich wurde. Ähnliches wiederholt sich nun beim letztjährigen Meistercoach Nagelsmann. 

Zu viele Nebenschauplätze um Nagelsmann

Die ständigen Schwankungen zwischen Topleistungen in Europa wie jüngst gegen Paris und sich wiederholenden Nachlässigkeiten in der Bundesliga werden dem Trainer angelastet. Die Bayern waren mit neun Punkten Vorsprung auf Dortmund in die WM-Pause gegangen. Vor dem anstehenden direkten Duell liegen sie einen Punkt zurück. 

Nach dem 1:2 bei Bayer Leverkusen hatte Salihamidzic seinen Unmut geäußert: «Das ist nicht das, was Bayern bedeutet.» Er zählte eine ganze Mängelliste auf und stellte sogar die Mentalitätsfrage. Das passte so gar nicht zu den vielen vorherigen Aussagen der Bosse mit viel Lob für Nagelsmann. Die Zusammenarbeit war eigentlich als Langzeitprojekt angelegt. 

Um Nagelsmann gab es zudem zu viele Nebenschauplätze. So sorgte etwa die von ihm vorangetriebene Ablösung des Manuel-Neuer-Vertrauten Toni Tapalovic als Torwartcoach für viel Wirbel. Mit einer Beziehung zu einer Reporterin machte er sich intern angreifbar. 

Dass Erfolge beim FC Bayern nicht vor Trennungen schützen, ist übrigens nicht neu. Auf dem Weg zum UEFA-Cup-Titel 1996 musste Otto Rehhagel einst nach dem Finaleinzug gehen. Mit Franz Beckenbauer als Interimscoach holten die Bayern im Endspiel den Europapokal.

Christian Kunz, Klaus Bergmann und Jordan Raza, dpa

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