Ein Schild weist auf den Sitz der Bundesnetzagentur hin. (Archivbild) (Urheber/Quelle/Verbreiter: Oliver Berg/dpa)

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) muss Deutschland sein Energierecht umfangreich ändern und die Rolle der Bundesnetzagentur neu definieren.

Das höchste europäische Gericht gab am Donnerstag einer von der EU-Kommission erhobenen Klage gegen die Bundesrepublik in vollem Umfang statt. Demnach wurden in Deutschland Vorgaben der EU-Elektrizitätsrichtlinie und der EU-Erdgasrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt.

Im Kern geht es bei den Vorwürfen um die Rolle der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde – deren Entscheidungsspielraum ist aus Sicht der Richter nicht groß genug. Derzeit legt die Bonner Behörde Netzentgelte auf Basis von Regeln fest, die die Politik beschlossen hat. Aus Sicht der für die Einhaltung von EU-Recht zuständigen Europäischen Kommission ist die Behörde nicht unabhängig genug – sie sollte nach eigenem Ermessen handeln können, also ohne dass sie an politische Vorgaben gebunden ist.

Bundesneetzagentur wird einflussreicher

Das Urteil dürfte den Einfluss der Bundesnetzagentur im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums deutlich stärken. So muss der Bund nun die Berechnung der Netzentgelte auf neue Füße stellen und die Rolle der Bonner Behörde neu definieren.

In der Energiebranche wird befürchtet, dass der Regulierer ein Eigenleben entwickeln und Entscheidungen fällen könnte, die zu Lasten der Wirtschaft gehen könnten. Fakt ist, dass die Branche wegen der Energiewende vor großen Herausforderungen steht – aus Sicht der Firmen entsteht nun eine Unsicherheit, die unangebracht ist.

Für den Endverbraucher ergeben sich zunächst keine Folgen. Möglicherweise könnte diese Entscheidung mittelfristig sogar etwas günstigere Tarife für den Endverbraucher zur Folge haben – letztlich ist das aber noch völlig offen.

Netzentgelte sind Gebühren, die erhoben werden, wenn der Energieanbieter Strom durch die Versorgungsnetze des Netzbetreibers leitet. Dem Verbraucher werden sie dann vom Energieanbieter in Rechnung gestellt und sind ein Bestandteil des Strompreises – neben Preisen für die Beschaffung und den Vertrieb des Stroms sowie etwa der EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms.

Rückschlag für Bundesregierung

Mit dem Urteil setzt sich die EU-Kommission in dem Vertragsverletzungsverfahren auf ganzer Linie durch, für die Bundesregierung ist die Luxemburger Entscheidung ein Rückschlag. Ingrid Nestle von der oppositionellen Grünen-Bundestagsfraktion sprach von einer «Klatsche für die Bundesregierung». Das Bundeswirtschaftsministerium teilte mit, man nehme das Urteil zur Kenntnis. «Aussagen zu den konkreten Auswirkungen des Urteils und notwendigen Anpassungen des Rechtsrahmens sind erst nach sorgfältiger Prüfung möglich», hieß es weiter.

Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, sagte, die Behörde werde rechtliche Unsicherheiten in der Übergangsphase so weit wie möglich reduzieren. «Wir gewährleisten Rechtssicherheit für die Investitionen, die zur Erreichung der Klimaschutzziele essenziell sind.»

Beim Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), der unter anderem Verteilnetzbetreiber und Stadtwerke vertritt, verstärkten sich am Donnerstag die Sorgenfalten. Verbandschef Ingbert Liebing sagte, dem Gesetzgeber sei es nach dem Urteil kaum möglich, Vorgaben zu konkretisieren und dadurch weitere Investitionsanreize für die Energiewende zu schaffen – täte er das dennoch, würde er gegen EU-Recht verstoßen. «Für die kommunalen Netzbetreiber bedeutet dies zusätzliche Unsicherheiten bezüglich der Planungs- und Investitionssicherheit, die für den weiteren Aus- und Umbau sowie die Digitalisierung der kommunalen Strom- und Gasnetze notwendig sind.»

Verband wenig erfreut

Wenig Begeisterung gab es auch beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Dessen Chefin Kerstin Andreae mahnte Investitionssicherheit für die Netzbetreiber an. «Hierfür grundlegend sind eine weitreichende Transparenz regulierungsbehördlicher Entscheidungen sowie ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit und Planbarkeit, das heute durch die Verordnungen gewährleistet wird.» An die Bundesnetzagentur appellierte sie, in ihren Entscheidungen den durch die Energiewende steigenden Anforderungen an die Netzinfrastrukturen Rechnung zu tragen.

Beifall gab es hingegen vom VWL-Professor Justus Haucap. «Es ist eine gute Nachricht, wenn die Bundesnetzagentur freier wird von politischer Einflussnahme», sagte der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission. Andere Institutionen seien das schon, etwa das Bundeskartellamt. Diese Behörde habe im Gegensatz zur Netzagentur keinen politischen Beirat.

Durch eine unabhängige Behörde werde der Lobbyeinfluss der Energiebranche sinken, weil ihre Forderungen an die Politik keine Folgen mehr hätten für die Berechnung von Netzentgelten und anderen Vorgaben, sagte Haucap. Firmen der Energiewirtschaft wiederum könnten weiterhin vor Gericht ziehen und so ihr Recht bekommen. Zudem bleibe die Monopolkommission eine Kontrollinstanz – diese Institution könne weiterhin alle Akten der Bundesnetzagentur einsehen und mögliche Missstände bemängeln.

Von Wolf von Dewitz und Ansgar Haase, dpa

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