Die Autorin Leïla Slimani («Dann schlaf auch du») hat das Internationale Literaturfestival Berlin eröffnet. Die 39-Jährige sprach in ihrer Eröffnungsrede auch über das Frausein. Ihrer Meinung nach ist ein wichtiger Schritt zur Emanzipation, nicht länger den Verhaltensmustern zu entsprechen, die einem in der Kindheit vorgelebt worden seien. Indem man sich weigere, zu schweigen, verständnisvoll zu sein und zu jedem Kompromiss bereit.
«Ich bin nicht die Mutter, die ich gerne wäre», sagte die französisch-marokkanische Schriftstellerin am Mittwochabend. Dieses Ziel erfülle sie auch nicht als Tochter oder Ehefrau. Und so sehr sie das womöglich auch zermürbt habe, so groß ihre Schuldgefühle gewesen seien, habe sie schließlich verstanden, dass es unmöglich sei, eine freie Frau zu sein, ohne zu enttäuschen.
«Verurteilung zum Schweigen» untragbar
In ihrem Land würden ihr manche Menschen vorwerfen, dass sie kein Blatt vor den Mund nehme und sich für sexuelle Rechte einsetze. Was sie am meisten verletze, seien nicht die Anfeindungen, Todesdrohungen oder Nachrichten, in denen jemand beschreibe, wie er sie vergewaltigen wolle. Am meisten verletzten sie Menschen, die sagten: «Du hast recht. Aber du solltest es nicht sagen.» Diese Verurteilung zum Schweigen sei für sie untragbar.
Slimani setzt sich in ihrem neuen Buch «Das Land der Anderen» auch mit ihrer Familiengeschichte auseinander. Beim Literaturfestival stehen bis 18. September viele Autorinnen und Autoren im Programm, darunter der Schweizer Christian Kracht («Eurotrash»), die deutsche Autorin Judith Hermann («Daheim») und die US-Amerikanerin Ottessa Moshfegh («Der Tod in ihren Händen»), die zugeschaltet wird. Einige Veranstaltungen werden im Internet übertragen.
Literatur als Ort der Komplexität
Slimani äußerte sich auch zur Debatte, wie man mit heute umstrittenen Künstlerinnen und Künstlern umgehen sollte. Sie halte es für normal und richtig, Werke der Vergangenheit, die womöglich sexistische oder rassistische Ideen verbreitet hätten, einer kritischen Betrachtung zu unterziehen, sagte Slimani. Aber löschen, streichen? «Als Schriftstellerin kann ich das nicht unterstützen.»
Literatur sei ein Ort der Komplexität. Sie würde auf die Frage, ob man beispielsweise noch Martin Heidegger oder Vladimir Nabokov lesen, weiter Richard Wagner hören oder Werke von Paul Gauguin bewundern könne, antworten, dass man aufhören sollte, «Leser oder Zuschauer wie Idioten zu behandeln». Man könne von einem Werk begeistert sein und gleichzeitig dessen Autor für verachtenswert halten.