Er gilt als einer der wagemutigsten Klassik-Pianisten der Welt – und beweist diese Einschätzung jetzt wieder mit einem ungewöhnlichen Mammutprojekt.
Igor Levits neues Album «On DSCH» präsentiert zwei extrem anspruchsvolle Klavierzyklen: Dmitri Schostakowitschs «24 Präludien und Fugen op. 87» und die ähnlich monumentale Schostakowitsch-Hommage «Passacaglia on DSCH» des Briten Ronald Stevenson.
Zugleich tritt der 34-jährige Levit seit langem als politisch aktiver Künstler für Menschenrechte, Demokratie und Klimaschutz sowie gegen Rassismus und Rechtsradikalismus auf. Die Deutsche Presse-Agentur hat mit dem Musiker über beides gesprochen.
Frage: Hallo Herr Levit, ich hoffe, es geht Ihnen einigermaßen gut in der «neuen Normalität» der Corona-Zeit. Wie sehen Sie derzeit die Lage als Musiker, für den Konzerte essenziell sind?
Antwort: Es ist ein bisschen schizophren. Auf der einen Seite ist es natürlich beglückend, wieder Musik machen zu können, dem nachzugehen, was ich liebe. Gleichzeitig war der Preis, den die Menschen auf und auch hinter der Bühne zahlen mussten, ein extrem hoher. Wenn bei den Auftritten die Auslastung, aus nachvollziehbaren Gründen, sehr gering ist, müssen zum Beispiel Konzerte gedoppelt werden. Und das ist einfach mental grenzwertig. Für alle, die solche Konzerte möglich machen – Bühnenarbeiter, Agenturen, Veranstalter, Künstler -, war das sehr sehr schwer. Insofern war das bisher ein beglückender und zugleich erschöpfender Sommer.
Frage: Beethovens komplette Klaviersonaten, eine 15-stündige Live-Darbietung von Saties «Vexations», jetzt die Präludien und Fugen von Schostakowitsch sowie Stevensons Hommage: Sind Sie der Spezialist für musikalische Kraftakte, der Marathonmann am Konzertflügel? Mögen Sie solche Zuschreibungen?
Antwort: Die Zuschreibungen treffen ja andere (lacht). Also ich denke gerne zyklisch. Wenn ich Werken begegne, die als Zyklen angelegt sind, versuche ich alles dafür zu tun, sie auch als Zyklen zu erlernen und aufzuführen. Ohne Frage – ich habe ein Interesse an längeren Werken. In diesem Fall war es einfach so: Den Wunsch, Schostakowitsch und Stevenson zusammen aufzunehmen, hatte ich schon viele Jahre, es hat sich eben erst jetzt ergeben. Ich wollte Stevensons «Passacaglia» schon 2015 aufnehmen, hab’s aber damals nicht gepackt – es war zu hoch, zu schwer, zu viel. Als ich einige Jahre später entschieden habe, den Schostakowitsch aufzunehmen, war klar: Ich werde das nur machen im Verbund mit Stevenson. Meine Hände und mein Körper waren dafür erst 2019 bereit, vorher war ich daran krachend gescheitert.
Frage: Ich zitiere mal einen Ihrer Twitter-Beiträge: «Nichts in meinem Pianistenleben ist vergleichbar mit der „Passacaglia on DSCH“ von Ronald Stevenson. Gar nichts. Dieses Werk macht etwas mit mir, seelisch und körperlich, was ich nicht in Worte fassen kann.» Treibt Sie auch missionarischer Eifer an, weithin unbekannte Komponisten mit Ihren Aufnahmen und hymnischen Worten bekannter zu machen?
Antwort: Ja, da ist was dran. Ich will einfach, dass so viele wie möglich diese Stücke hören.
Frage: Sie führen die «Passacaglia» auch live auf – «80 Minuten Dauerlauf für die Hände», schrieb eine Musikkritikerin. Wie oft kann man einen solchen Konzentrations- und Kraftakt auf einer Tournee leisten, ohne völlig ausgepumpt zu sein?
Antwort: Lassen Sie mich mal die Konzerte nochmal kurz zählen, und wie oft ich die Stücke da insgesamt spiele – das ist dann die Antwort, wie oft es geht (lacht). Es gibt Stücke, die geben, und Stücke, die nehmen. Die «Passacaglia» nimmt ungeheuer viel und gibt trotzdem. Obwohl das Stück so lang und grenzwertig ist, habe ich nie das Gefühl, davon niedergeschmettert zu sein, ich könnte es so häufig spielen wie sonstwas, weil es mir so ungeheuer viel gibt.
Frage: Kommen wir zum politischen Menschen Levit, der sich stark in der Öffentlichkeit engagiert. Ist Kunst für Sie bevorzugt politisch?
Antwort: Ich sage den Leuten heute nicht mehr, welche politische Botschaft welches Musikstück hat – damit habe ich aufgehört. Die Rezeption liegt in der Verantwortung der Hörenden und nicht in meiner. Aber ist Kunst für mich persönlich eine politische Angelegenheit? Ja selbstverständlich, denn ich bin ein sehr politischer Mensch. Ich kann beides nicht trennen und verhandele auch mit Hilfe von Musik das, was ich in der Welt sehe.
Frage: Sie haben einen stressigen Job als Musiker, mit täglichem Üben, Plattenaufnahmen, Konzertreisen, Interviews. Viele Ihrer Kollegen tun sich die zusätzliche Belastung in der Hasskultur des Netzes nicht auch noch an – Sie hingegen werfen sich mit Verve hinein. Keine Angst, dass die Kerze von zwei Seiten abbrennt?
Antwort: Es gibt einen Unterschied zwischen Verbrennen und Ausbrennen. Da sind Tage, an denen ich mich verbrannt fühle – aber ich habe wunderbare Menschen um mich herum, daher hat es noch nie einen Tag gegeben, an dem ich mich ausgebrannt gefühlt habe. Manchmal müde – aber gesund.
Frage: In den Sozialen Medien wächst Ihre Follower-Zahl stetig. Im Mai 2020 haben Sie da angekündigt: «Beim Erreichen der 150.000 Follower Grenze spiele ich Wagners Walküre live auf Twitter. Ganz. (OHNE SINGEN!!!). Mit Walkürenritt. Und einem Ford Coppola T Shirt.» Wann ist es soweit?
Antwort: Ja, ich werde die Walküre spielen, Freunde! Und Francis Ford Coppola wird prominent als Figur auf meinem T-Shirt stattfinden. Es wird noch eine Zeit dauern, weil ich noch daran arbeite, dem Ganzen einen guten Rahmen zu geben. Aber ich werd’s tun. Wenn ich irgendwas nicht tue, dann ist es Versprechen nicht einlösen.
Frage: Wenn man Ihre musikalischen Vorlieben kennt, von Beethoven und Bach, Schostakowitsch und Stevenson bis zu Hip-Hop und Beach Boys – dann weiß man, dass Sie keiner für den Klassik-Elfenbeinturm sind. Ist irgendwann mal ein Crossover-Album von Ihnen zu erwarten: Levit spielt Jazz-Piano oder Ed-Sheeran-Songs auf seinem Konzertflügel?
Antwort: Das weiß ich nicht. Ich mache ungern Sachen, von denen ich nicht weiß, ob ich sie kann. Aber Kollaborationen mit Künstlerinnen oder Künstlern aus anderen Genres – ja, das sehe ich absolut.
ZUR PERSON: Der deutsche Klavier-Virtuose und Polit-Aktivist Igor Levit wurde am 10. März 1987 im russischen Gorki geboren und übersiedelte 1995 mit der Familie nach Hannover. Schon ab dem Alter von drei Jahren erlernte er das Klavierspiel durch seine Mutter Jelena und andere profilierte Musikpädagogen. Inzwischen gilt Levit als Spezialist für monumentale Klavierzyklen – sein bisher größter Erfolg war die Gesamteinspielung der Beethoven-Sonaten – und für unbekanntere Komponisten wie Frederic Rzewski oder Ronald Stevenson. Er ist Mitglied der Grünen und wurde im Herbst 2020 für sein gesellschaftliches Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.