Novak Djokovic saß umgeben von 25.703 Zuschauern im größten Tennis-Stadion der Welt auf seiner Bank und heulte bitterlich in sein Handtuch.
Das US-Open-Finale gegen Daniil Medwedew hatte er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht endgültig verloren, aber der 34-Jährige konnte schon vor dem letzten Ballwechsel zum 4:6, 4:6, 4:6 am Sonntag (Ortszeit) in New York und dem Ende seiner Träume über den so seltenen Grand Slam nicht mehr.
«Ihr habt meine Seele berührt»
Die Enttäuschung und Trauer kombiniert mit dem überwältigenden Zuspruch von den Rängen war zu viel. «Die Menge an Unterstützung, die Energie und Liebe, die ich vom Publikum bekommen habe, ist etwas, an das ich mich für immer erinnern werde», sagte der Serbe. Deswegen habe er geweint. «Die Emotionen, die Energie war so stark. Ich finde, das ist so stark, wie 21 Grand Slams zu gewinnen.» Noch auf dem Platz hatte er zu den Zuschauern gesagt: «Ihr habt meine Seele berührt. Ich habe mich in New York noch nie so gefühlt. Danke euch vielmals.»
Weil an diesem Tag in den 145 Minuten in der Billie-Jean-King-Anlage aber so wenig klappte wie wohl noch nie zuvor in einem großen Finale für ihn, steht der Weltranglistenerste unverändert bei 20 Siegen und teilt sich den Rekord weiter mit Rafael Nadal und Roger Federer. Auch den Grand Slam aus Siegen bei allen vier Turnieren innerhalb eines Jahres verpasste er hauchdünn – 27 Spiele war er bei den Majors des Jahres 2021 unbesiegt. Dann kam der Weltranglistenzweite Medwedew, nahm ihm sofort den ersten Aufschlag ab, spielte das bessere Tennis.
Erster Grand-Slam-Titel für Medwedew
«Es tut mir leid für Novak, ich kann mir nicht vorstellen, was er fühlt», sagte der 25 Jahre alte Russe, dem sein erster Sieg bei einem Grand Slam an seinem dritten Hochzeitstag gelang. In der Siegesrede auf dem Platz hatte er sich zu einem für ihn einmaligen Bekenntnis hinreißen lassen: «Ich habe das noch nie zu jemandem gesagt, aber ich sage es jetzt zu dir: Für mich bist du der größte Tennisspieler der Geschichte.» Rod Laver, der 1969 alle Grand-Slam-Turniere gewann und als Gast auf der Tribüne saß, bleibt aber der letzte Mann, dem dieser Coup gelungen ist. Die letzte Frau ist Steffi Graf, die 1988 sogar den Golden Slam inklusive Olympia-Gold schaffte.
Zwei Tage nach dem Halbfinalsieg gegen Alexander Zverev war schnell klar, dass Djokovic in Medwedew den erwartet stärkstmöglichen Gegner hatte. Wie in den vorausgehenden Runden verlor er den ersten Satz – dass er aber direkt sein erstes Aufschlagspiel abgeben musste, war ungewöhnlich. Nach lediglich 36 Minuten lag er 0:1 in Sätzen zurück gegen einen Gegner, der alles im Griff hatte. Selbst drei Breakbälle für Djokovic und die ungeniert für den Serben jubelnden Zuschauer zu Beginn des zweiten Durchgangs brachten den 25-Jährigen nicht aus der Ruhe.
Djokovic: «Hatte keine Beine»
Djokovic dagegen war angefressen, frustriert und zerstörte im zweiten Satz einen Schläger. Was auch immer er machte, der 1,98 Meter große Medwedew war in zu vielen Situationen flink genug und gut genug für eine Antwort. Nach 90 Minuten hatte Djokovic auch den zweiten Satz verloren. «Ich hatte keine Beine. Ich habe es versucht. Mein Spiel war einfach nicht da», sagte Djokovic mit etwas Abstand und wiederholte seine Glückwünsche an Medwedew. «Er war großartig. Mentalität, Herangehensweise, sein Spiel, alles. Er war absolut der bessere Spieler und hat es verdient, zu gewinnen. Kein Zweifel.»
Nach dem Österreicher Dominic Thiem vor einem Jahr ist Medwedew nun der nächste aus der Nachfolgegeneration, der ein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat – und der erste, der das gegen einen der großen drei Djokovic, Nadal und Federer geschafft hat. An diesem Tag gegen diesen Gegner in dieser Situation gewonnen zu haben, das machte den Triumph für den hervorragend gelaunten Russen deswegen auch in der Eigenwahrnehmung noch spezieller. «Er war auf dem Weg, Geschichte zu schreiben. Zu wissen, dass ich ihn dabei aufgehalten habe, macht es absolut noch süßer und bringt mir zumindest Selbstvertrauen für den Hartplatz», sagte Medwedew. Auf den anderen Belägen müsse man abwarten.
«Russen wissen, wie man feiert», meinte Medwedew noch. «Ich hoffe, dass ich nicht in den Nachrichten komme. Falls doch, wird es auf gute Art sein. Ich werde die kommenden Tage ganz sicher feiern.»