Die Wikipedia-Gemeinde diskutiert ein Wochenende lang in Erfurt. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sebastian Gollnow/dpa)

«Die Strumpfhose ist ein einteiliges Beinbekleidungsstück, das den Körper hauteng von der Taille abwärts komplett bedeckt» – so lautet der erste Satz des Wikipedia-Eintrags «Strumpfhose».

Klingt simpel. Doch der Artikel hat in diesem Jahr zu einer beispielhaften Diskussion innerhalb der ehrenamtlichen Schreib-Gemeinde der Online-Enzyklopädie geführt, er wurde zigfach abgeändert und heiß in Foren diskutiert.

Die Relevanz der Strumpfhose

«Weil auch so etwas Simples wie eine Strumpfhose natürlich etwas ist, auf das es sehr unterschiedliche Blicke gibt», erklärt es Fuchs B. Die 35-Jährige ist im Berliner Kulturbereich tätig und eine der wenigen Frauen, die für die Wikipedia schreibt. Hier möchte sie – wie auch in der Gemeinschaft üblich – anonym bleiben und ausschließlich mit ihrem Wikipedia-Name genannt werden. Sie selbst arbeitet viel zu Textilien und hat so auch seinerzeit den Artikel entdeckt, der durch seine Bebilderung mit sich lasziv rekelnden Frauen für Furore sorgte.

Wie schreibt man über bestimmte Themen? Und wie bildet man sie ab? Wer entscheidet das? Das Nachschlagewerk im Internet wird von Ehrenamtlichen verfasst. Doch der Wikipedia fehlen Autoren – und vor allem Autorinnen wie Fuchs B eine ist. Hier schreiben vor allem Männer über Themen – oder andere Männer.

Kaum Autorinnen bei Wikipedia

Einer Wikimedia-Umfrage aus dem Jahr 2018 zufolge lag der Frauenanteil in allen Projekten bei gerade einmal neun Prozent. Von den rund 833 300 Biografien in der deutschsprachigen Wikipedia sind gerade einmal 17 Prozent über Frauen. Die mangelnde Vielfalt unter den Verfasserinnen und Verfassern ist einer der häufigsten Kritikpunkte an Wikipedia.

Darüber hinaus stellte ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bereits 2015 fest, dass romantische Beziehungen und familienbezogene Themen in Wikipedia-Artikeln über Frauen viel häufiger behandelt werden als in denen über Männer. Dies deute darauf hin, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Art und Weise gebe, wie die Wikipedia-Gemeinschaft bemerkenswerte Persönlichkeiten darstelle.

«Als Verein können wir nicht auf die Inhalte der Wikipedia einwirken, das ist sogar verboten», sagte Wikimedia-Sprecherin Julia Gebert. Man arbeite aber kontinuierlich daran, die Community zu unterstützen und die Zahl der Bearbeiterinnen bei Wikipedia zu erhöhen. «Das tun wir verstärkt bei Aktionen wie zum Beispiel Editathons, die die Diversität in der Community und somit auch in der Wikipedia und ihren Schwesterprojekten erhöhen.» Editathons sind Veranstaltungen, bei denen Autorinnen und Autoren von Online-Plattformen gemeinschaftlich Artikel erstellen oder bearbeiten.

Gerade der Ausbau der Gemeinde und die mangelnde Diversität sei von Freitag bis Sonntag in gleich mehreren Veranstaltungen der jährlich stattfindenden «WikiCon», dem Treffen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren der Wikipedia, Thema, sagte der Erfurter Wikipedianer und Organisator Steffen Prößdorf. Rund 300 Interessierte wollen sich in diesem Jahr in Erfurt über aktuelle Inhalte und Probleme – wie etwa den Mangel an Autorinnen und den damit einhergehenden einseitigen Blick auf Themen – informieren und diese diskutieren.

«In den mehr als 15 Jahren, in denen ich dabei bin, hat sich das Thema wirklich gemausert», sagt Fuchs B. Um den Austausch weiter voranzutreiben, reist auch sie aus Berlin nach Erfurt und wird hier, gemeinsam mit der Wikipedia-Autorin Kaethe17, einen Vortrag halten. Ausgehend von der Entwicklung des Strumpfhosen-Artikels soll er Mut machen, sich an Artikelbearbeitungen zu wagen – und «dafür werben, mehr Frauen für die Wikipedia zu finden», so die Langzeit-Aktive.

Der Blick und die Community müssten sich weiter öffnen, damit die Bandbreite solcher Themen auch in den Artikeln wiederzufinden sei, so Fuchs B. Dass die Strumpfhose mittlerweile mit einer Zeichnung eines Strumpfhose tragenden Unterkörpers eingeleitet und insgesamt «ausgewogener» bebildert ist, sei etwa das Ergebnis einer solchen gemeinschaftlichen Erarbeitung eines Themas – und der Teilhabe von Frauen, denen die ehemalige Dokumentation des Themas aufstieß.

Von Monia Mersni, dpa

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