Der langjährige ARD-Korrespondent und Reporter Gerd Ruge starb im Alter von 93 Jahren in München. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marc Müller/dpa)

Jahrzehntelang hat er den Fernsehzuschauern Einblicke in fremde Länder gegeben – als viele Länder noch wirklich fremd waren, weil es dort noch keinen Massentourismus und kein Internet gab.

Dazu reiste er unermüdlich. «Gerd Ruge unterwegs» – so hieß die ARD-Serie, für die er nach seiner Pensionierung Auslandsreportagen lieferte. Dieser Titel beschreibt auch sein Leben.

Dabei war Ruge, der am Freitagabend im Alter von 93 Jahren in München gestorben ist, kein rasender Reporter, sondern ein ruhiger. Dass er nicht lange am selben Platz verharrte, lag – wie er sagte – an den interessanten Themen, die ihn lockten: «Ich glaube nicht, dass das Rastlosigkeit war. Es ist Neugier, das Interesse, zu sehen, was in einem Land passiert.»

Ruhige Herangehensweise

Auch seine Filme rasen nicht. «Einen echten Ruge erkennt man an der ruhigen und gelassenen Betrachtungsweise», meinte der frühere ZDF-Korrespondent Dirk Sager, der Ruge aus Moskau kannte. «Man muss die Bilder so lange stehen lassen, dass der Zuschauer ein Gefühl bekommt für das, was er sieht», skizzierte Ruge seine Art, Geschichten in Bildern zu erzählen. In Zeiten von Twitter & Co. sei es heute schwieriger geworden für Korrespondenten, «Inhalte erst einmal klar abzugleichen mit der Wirklichkeit». Denn: «Gerüchte kochen heute viel schneller hoch.»

Schlechte Telefonverbindungen

Wenn es 1955 schon Twitter gegeben hätte, wäre der Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer in Moskau anders verlaufen. Denn der damalige Außenminister Heinrich von Brentano kam aus dem Verhandlungssaal geschossen und rief den Korrespondenten zu: «Unverschämtheit, unerträglich, die Verhandlungen sind zu Ende. Wir reisen ab!» Einer der Journalisten war Ruge.

In seinen «Politischen Erinnerungen», die zu seinem 85. Geburtstag erschienen, schrieb Ruge dazu: «Nur die schlechten Telefonverbindungen bewahrten mich davor, eine Falschmeldung in die Welt zu setzen, wie sie heute innerhalb von Minuten, von Sekunden, über Rundfunk, Fernsehsender und durch das Internet kursieren würde.» Denn die Verhandlungen waren nicht zu Ende: Moskau gab schließlich sein Ehrenwort für die Rückkehr Tausender Kriegsgefangener nach Deutschland, sobald die diplomatischen Beziehungen aufgenommen seien.

Ihn interessierten die Menschen

In den Mittelpunkt seiner Berichte stellte Ruge am liebsten Menschen jenseits von Prominenz und Glamour. Schon 1963 prägten nicht Archivbilder seinen Film zu Stalins zehntem Todestag, sondern die Aussagen von Zeitzeugen. Diesem Vorgehen blieb er – ebenso wie seinem nuschelnden Sprechstil – treu. Beispielsweise in dem Film, den er 2006 zum ARD-Dreiteiler über die Rocky Mountains beisteuerte. Ruge brauchte nur einen Wochenmarkt, und schon fand er erstaunliche Lebensgeschichten: «Leute, die ganz seltsam sind, die sich selbst aber für ganz normal halten.»

Dabei fiel es ihm gar nicht leicht, so nah an die Menschen heranzugehen. «Ich würde es nie machen, wenn ich nicht eine Reportage zu schreiben hätte. Dann hat man einen Grund. Und die Leute merken schon, dass man sich für ihr Leben interessiert und nicht nur eine Information von ihnen will.» An ihren einzelnen Geschichten und Schicksalen machte er die großen politischen Entwicklungen deutlich.

«Wenn etwas Wichtiges passierte, konnte man ihm stets vertrauen», schrieb die «Süddeutsche Zeitung» über Ruge zu dessen 90. Geburtstag. 1968 berichtete er zum Beispiel aus den USA über die Morde an Robert Kennedy und Martin Luther King. Er erlebte Glasnost und Perestroika unter Michail Gorbatschow und den Putsch 1991, dem sich Boris Jelzin auf dem Panzer entgegenstellte.

Er moderierte «Monitor»

Als persönlichen Höhepunkt seines Berufslebens nannte er aber nicht diese Weltereignisse, «sondern dass ich ganz früh in Moskau, nämlich 1956, die Chance hatte, den Schriftsteller Boris Pasternak kennenzulernen und durch ihn an ein Russland heranzukommen, das völlig anders war als das der Zeitungen und der Hochglanzbroschüren.»

Gerd Ruge wurde 1928 in Hamburg geboren. Als 16 Jahre alter Soldat überlebte er mit Glück die Endphase des Zweiten Weltkriegs. Mit 20 war er Redakteur beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR). 1950 berichtete er über Jugoslawien, danach aus Korea und Indochina. 1956 ging er als ARD-Korrespondent nach Moskau, 1964 in die USA. 1970 übernahm er die Leitung des WDR-Studios in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn, 1972 ging er für «Die Welt» nach China, 1977 wieder für die ARD nach Moskau.

Von 1981 an moderierte er das Polit-Magazin «Monitor», 1984/85 war er WDR-Fernsehchef. «Das musste gemacht werden, am glücklichsten war ich aber immer als Auslandskorrespondent.» Weshalb es ihn 1987 noch einmal in die Sowjetunion zog. Seinen Ruhestand verbrachte Ruge, der dreimal verheiratet war, in seiner Wahlheimat München.

Kritisch beurteilte er das – wie er sagte – «Schwarz-Weiß-Denken» vieler deutscher Zuschauer – und gab den Medien eine Mitschuld: Manche Berichte über Menschenrechts-Demos in Russland oder Ägypten erweckten den Eindruck, als kämpfte dort die Mehrheit der Bevölkerung gegen eine als despotisch empfundene Regierung. Dabei sei die Realität viel komplizierter.

Ruge hat sich persönlich für Menschenrechte eingesetzt, war Gründungsmitglied und erster Vorsitzender von Amnesty International Deutschland, aber: «Ich habe versucht zu vermeiden, die Berichterstattung über die Politik eines Landes abhängig zu machen von den eigenen Vorstellungen von Menschenrechten.»

Von Bernward Loheide, dpa

Von