Günstige Fahrkarten, mehr Verbindungen, weniger Verspätungen – davon träumen Fahrgäste schon lange. Nun könnte Volker Wissing (FDP) die Weichen dazu stellen.
Der wahrscheinliche neue Bundesverkehrsminister hätte jedenfalls Möglichkeiten dazu: SPD, Grüne und FDP haben im Koalitionsvertrag einiges vorgesehen, das den Schienenverkehr stärken könnte. Jedoch: Vieles ist vage formuliert. Und selbst wenn die neue Regierung volle Kraft gäbe – es würde aus Expertensicht Jahre dauern bis Fahrgäste große Verbesserungen spüren.
Dabei sind die Versprechen groß: Im «Deutschland-Takt» sollen Fernzüge 2030 die größten Städte im Halbstundentakt verbinden. Das Angebot soll sich verdoppeln, Fernzüge sollen in mehr Oberzentren halten, Strecken reaktiviert, elektrifiziert und das Netz erweitert werden.
Zugverbindungen ins Ausland will das Regierungsbündnis «stärken», für mehr Nachtzüge sorgen und 25 Prozent der Güter statt wie bisher 18 Prozent auf die Schiene bringen. Allerdings: Vieles davon ist längst Konzern- oder auch Regierungsziel.
Eine Reihe von Ansatzpunkten
«Der Vertrag ist mit einer gewissen Grundsympathie für die Schiene geschrieben», erkennt Christian Böttger an, der Eisenbahn-Experte der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft. «Es gibt eine Reihe von Ansatzpunkten, und jetzt hängt es davon ab, ob sie auch genutzt werden.» Für Böttger steht aber schon fest: «Der große Wurf ist es nicht.»
Auch der Bundesrechnungshof sieht mehr Baustellen bei der Bahn. Die Kontrollbehörde arbeitet sich regelmäßig am größten deutschen Staatskonzern ab. Am Dienstag kritisierte der Hof die Unregelmäßigkeit der Gewinnabführungen an den Bund, den Einstieg der Konzerntochter DB Energie ins Privatstromgeschäft und die Doppelfunktion von Politikern als Abgeordnete und Aufsichtsratsmitglieder im Konzern.
Abgeordnete seien qua Mandat dem Gemeinwohl verpflichtet, ein Aufsichtsrat aber vor allem dem Wohlergehen des jeweiligen Unternehmens. «Das ist ein Interessenkonflikt, eine Kollision von Interessen in einer Funktion», sagte Rechnungshof-Präsident Kay Scheller in Bonn. Dies müsse abgestellt werden.
Schiene vor Straße
Die neue Koalition hat sich zunächst zwei wichtige Grundsatzentscheidungen vorgenommen: Mit dem mehr als 33.000 Kilometer langen Gleisnetz und den gut 5000 Bahnhöfen soll der Staatskonzern keinen Gewinn mehr machen müssen. Er soll die Infrastruktur gemeinwohlorientiert betreiben. Und: Das «Ampel»-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP will «erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren».
Das sei der Schlüsselsatz der Koalitionsvereinbarung, heißt es bei der Eisenbahn-Lobby Allianz pro Schiene. «Damit bricht die Ampel-Koalition mit dem jahrzehntelangen Dogma der deutschen Verkehrspolitik, in der die Straße traditionell trotz aller Umwelt- und Klimaprobleme stets den Vorrang bekam», notiert der Verein, bemerkt aber auch: «Auf den Verkehrsminister kommt es an.»
Der kommt nun überraschend von der FDP, die der Grünen-Bahn-Politiker Matthias Gastel zu den «Straßenbau-Parteien» zählt. Gastel zeigte sich offen enttäuscht, dass sich die Grünen das Ministerium in den Koalitionsverhandlungen nicht sichern konnten.
Der Liberale Wissing lehnte im Wahlkampf unter anderem ein generelles Tempolimit auf Straßen ab und gab zuletzt den Anwalt der Diesel-Fahrer. Als Landesverkehrsminister in Rheinland-Pfalz setzte er sich zwar auch dafür ein, die Tarife in Bussen und Bahnen zu vereinheitlichen, damit mehr Menschen vom Auto in die Öffentlichen umsteigen. Auf dem Land sei das aber für viele keine Option, betonte er. Mobilitätskonzepte müssten die Wünsche aller berücksichtigen.
So soll auch unter Rot-Grün-Gelb der Etat Bundesstraßen und Autobahnen weiter wachsen. Von den Lkw-Maut-Einnahmen aber soll jetzt der Verkehr insgesamt profitieren – was auch der Bahn zugute kommt. Die Koalition will mehr Geld in die Bahn-Infrastruktur investieren und den Ländern mehr Geld geben, um Regionalverkehr zu bestellen.
Vorteile für die Bahngäste?
Wird Bahnfahren jetzt für die Kundinnen und Kunden billiger? Das ist bisher nicht absehbar. Eine wichtige Stellschraube dafür wären die Trassenpreise, eine Gebühr für die Nutzung der Gleise, die alle Eisenbahn-Unternehmen an die Bahn-Sparte DB Netz überweisen, auch die Bahn selbst. Diese Trassenpreise sollen sinken, steht in der Koalitionsvereinbarung; aber mit dem Zusatz: «sofern haushalterisch machbar».
Der Bahn-Experte Böttger sieht auch offene Fragen bei dem Vorhaben, aus den Bahn-Töchtern für Netz, Bahnhöfe und Energie ein gemeinwohlorientiertes Unternehmen zu machen. Dieses müsste dann keinen Gewinn mehr an den Konzern abführen. Doch es müssten auch Beherrschungsverträge wegfallen und die Infrastruktursparte müsse sich komplett separat finanzieren, forderte Böttger. Zahlreiche Regelungswerke seien dafür zu ändern.
Auch beim Ziel, die Schienenkapazität schnell zu erhöhen, hat Böttger Zweifel. Daran ändert auch die geplante «Beschleunigungskommission Schiene» nichts. Selbst wenn wieder genug Personal in Genehmigungsbehörden sitze und Anwohnerproteste eingedämmt werden können: «Wir haben überhaupt nicht die Ingenieure und die durchgeplanten Projekte, um auf einen Schlag mehr zu investieren.» Für die Fahrgäste seien spürbare Verbesserungen in den nächsten Jahren deshalb nicht in Sicht.