In der ersten Jahreshälfte sind die Tarifgehälter längst nicht so schnell gestiegen wie die Verbraucherpreise. Laut der am Dienstag vorgestellten Analyse der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung stiegen die Tariflöhne durchschnittlich um 2,9 Prozent. Bei einem gleichzeitig sehr viel stärkeren Anstieg der Verbraucherpreise ergab sich daraus ein Reallohnverlust von 3,6 Prozent.
Vielen Beschäftigten drohe damit das zweite Jahr in Folge ein Reallohnverlust, erklärte der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten. Trotz zuletzt steigender Abschlüsse rechnet der Experte nicht mit einem vollständigen Ausgleich der Inflation. «Angesichts der vollkommen ungewissen Entwicklung des Ukraine-Krieges und seiner wirtschaftlichen Folgen ist die Tarifpolitik allein in vielen Branchen überfordert, die Kaufkraftverluste der Beschäftigten auszugleichen. Hier sind zusätzliche Entlastungsmaßnahmen durch den Staat notwendig.»
Die errechnete durchschnittliche Tarifsteigerung um 2,9 Prozent ist noch zu einem großen Teil von Abschlüssen bestimmt, die im Jahr 2021 mit einer durchschnittlichen Steigerung von 2,5 Prozent geschlossen wurden. Neuere Abschlüsse brachten den Beschäftigten im Schnitt 4,5 Prozent, blieben damit aber immer noch hinter der Teuerung zurück.
Höhere Abschlüsse gab es insbesondere in Branchen mit großen Beschäftigtengruppen knapp oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns. Hier wurden häufiger Tarifsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich vereinbart, um sich auch weiterhin vom gesetzlichen Mindestmaß abzusetzen und Arbeitskräfte zu sichern. Als Beispiele nannte das WSI-Tarifarchiv das Gaststättengewerbe, die Gebäudereiniger oder die Leiharbeit.