Schweigemarsch in Washington: Bernhard Docke (Alexander Scheer) und Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) kämpfen um Murat. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Andreas Höfer/Pandora Film/dpa)

Der Kampf um ihren Sohn beginnt am 3. Oktober 2001. In ihrem Bremer Wohnhaus klopft Rabiye Kurnaz energisch an die Zimmertür ihres Sohnes. «Murat! Ist schon Mittag», sagt die Mutter. «Murat, steh auf oder ich schneid‘ deinen Bart ab. Murat, lass‘ den Scheiß!»

Doch ihr Sohn ist längst weg. Der Regisseur Andreas Dresen ist bekannt dafür, dass er einen ungewöhnlichen Zugang zu Geschichten findet. Das gelingt ihm auch bei seinem neuen Film.

Aus der Perspektive der Mutter

Dresen hat längere Zeit überlegt, wie er die Geschichte von Murat Kurnaz erzählten könnte. Die Geschichte eines Mannes, der als türkischer Staatsbürger in Deutschland aufgewachsen ist und schließlich jahrelang im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba festgehalten wurde. Schließlich hat er sich für einen interessanten Blickwinkel entschieden – er konzentriert sich auf Murats Mutter.

Der Film zeigt sie als patente Frau mit blondierter Dauerwelle. Rabiye Kurnaz rauscht mit ihrem Mercedes durch die Stadt, quält sich ins Fitnessstudio und stäubt ordentlich Puderzucker auf den Apfelkuchen. Gespielt wird sie von der Comedienne Meltem Kaptan («Ladies Night»), die in Köln lebt und in ihrer ersten Hauptrolle in einem deutschen Kinofilm zu sehen ist.

Energiegeladen, mit Charme, Verschmitztheit und Witz zeichnet sie das Porträt einer Frau, die bis zur Erschöpfung um ihr Kind kämpft. Bei der Berlinale gewann Kaptan für ihre schauspielerische Leistung direkt einen Silbernen Bären. Auch das Drehbuch von Laila Stieler wurde ausgezeichnet – mit ihr hatte Dresen etwa auch bei seinem zurückliegenden Film «Gundermann» zusammengearbeitet.

Juristischer Kampf

Dresens Film ist erstaunlich leicht und warm geworden, ohne dabei die schweren Momente zu vernachlässigen. Anders als andere Filme erzählt er den Schrecken von Guantánamo nicht vor Ort, sondern er lässt einen über einen Umweg mitfühlen. Letztlich zieht die Mutter bis vor das oberste US-Gericht, um ihren Sohn zu befreien. Daraus leitet sich auch der Filmtitel ab: «Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush».

Begleitet wird sie dabei vom Rechtsanwalt Bernhard Docke. Gespielt wird er von Alexander Scheer, der hatte auch schon die Hauptrolle in Dresens Liedermacherporträt «Gundermann». Im neuen Film ergeben sich nun herzliche Szenen zwischen dem etwas steifen Anwalt mit Schnauzbart und der temperamentvollen Mutter, die Essen mitbringt und in Dockes Büro ungefragt einen Talisman aufhängt.

Murat Kurnaz war von 2002 bis 2006 in Guantánamo inhaftiert. Nach und nach enthüllt der Film den juristischen Kampf um seine Freilassung und die politischen Verwicklungen. Dresen erzählt davon feinfühlig und mit so lustigen Szenen, dass es im Kinosaal unerwartet viel zu lachen gibt. Als die Familie den Sohn nach dessen Freilassung irgendwann abholen kann, will er kurz aussteigen. Er wolle kurz allein sein. «Versteh‘ ich», sagt seine Mutter, «ich komm‘ mit».

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush, Deutschland/Frankreich 2022, 119 Min., FSK ab 6 Jahren, von von Andreas Dresen, mit Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner und Nazmi Kirik.

Von Julia Kilian und Peter Claus, dpa

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