Die Schriftstellerin Kirsten Boie will mit ihrem neuen Buch die Folgen des Nationalsozialismus thematisieren. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Markus Scholz/dpa/Archiv)

Die Auseinandersetzung mit dem Krieg ist selten leicht. Und doch ist sie notwendig. Die Hamburger Autorin Kirsten Boie («Sommerby», «Möwenweg») will sie nun mit ihrem neuen Jugendbuch «Heul doch nicht, du lebst ja noch» um eine Facette erweitern.

«Wenn wir von Krieg reden, sprechen wir dabei vor allem über die Schuld Deutschlands, das den Krieg begonnen und fürchterliche Gräueltaten begangen hat, und über die Shoa. Und das ist auch gut und richtig und das sollten wir auch weiter tun», sagte Boie der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg.

«Aber darüber, dass auch die nicht verfolgte deutsche Bevölkerung ganz fürchterlich gelitten hat, taucht nichts auf.» Es sei an der Zeit gewesen, «mal zu beschreiben, wie furchtbar der Ausgang des Nationalsozialismus für wirklich alle Menschen war».

Boie will Auswirkungen verdeutlichen

Das sei gerade im Moment wichtig, «im Zusammenhang mit Jugendlichen, die im Augenblick nach rechts abwandern». Deshalb hat sie ein Buch für Jugendliche geschrieben, das die Auswirkungen des NS-Regimes und die fürchterlichen Erlebnisse aller Deutschen im Alltag betrachtet.

Ihre im Oetinger-Verlag veröffentlichte Geschichte (Erscheinungstermin 8. Januar) dreht sich um drei junge Teenager kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie spielen in den Trümmern Hamburgs, haben Hunger, verstecken sich in den Ruinen, handeln auf dem Schwarzmarkt, müssen ihren Wohnraum mit fremden Menschen teilen, haben verkrüppelte Väter. Jede Familie, jedes Kind hat sehr schwer zu tragen an der Vergangenheit und der Gegenwart. Sie alle eint der Verlust.

Perspektive von drei Jugendlichen

Boie erzählt die in Hamburg spielende Geschichte dabei jeweils aus der Sicht einer der drei Jugendlichen. Boie war es wichtig, verschiedene Lebensaspekte aufzugreifen. Die Tochter einer Bäckerfamilie, die eine Familie aus Ostpreußen aufnehmen muss. Der Sohn eines Soldaten, der zutiefst frustriert, noch immer regimegläubig und ohne Beine in der Küche sitzt und die Familie tyrannisiert. Und der Sohn eines nicht-jüdischen Deutschen und einer Jüdin, der sich aus Angst vor den Deutschen noch immer in den Trümmern versteckt und sich kurz als nicht-jüdisches Kind ausgibt, um Anschluss zu finden.

Die Gedanken der Jugendlichen beschreibt Boie dabei vielschichtig und lässt auch Wendungen zu. «Mir ist es auch immer wichtig, dass die Dinge nicht so eindeutig sind. Wir sind doch alle nicht so eindeutig. Die Menschen sind doch viel komplexer.»

Erinnerung an Kindheitserzählungen

Für das Buch hat Boie stark aus ihren Erinnerungen geschöpft. Sie selbst war zu Kriegsende noch nicht geboren. «Aber die Geschichten und Erzählungen aus dieser Zeit haben meine ganze Kindheit bestimmt. Ich habe selbst auch noch in den Trümmern gespielt, und Lehrer mit Prothesen waren beinahe die Regel.» Gleichzeitig hat sie auch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg und in der Literatur zur Situation der Juden in der Hansestadt recherchiert. «Das war furchtbar. Da wird alles noch einmal sehr, sehr viel konkreter und wirklich erschütternd.»

Das 177-seitige Buch hallt nach. Es wirkt. Es setzt Gedanken frei und schafft so Raum für die Auseinandersetzung – die innere und die mit anderen. Boie hat die Hoffnung, dass ihr Buch die Kinder erreicht, bevor sie in rechten Gruppen den Nationalsozialismus idealisieren. «In der Regel rutschen die Jugendlichen zwischen 12 und 15 Jahren ab, und das ist auch genau die Zielgruppe, auf die das Buch abzielt.» Die Mädchen und Jungen sollten in diesem Alter unbedingt das ganze Bild der Kriegsfolgen des Nationalsozialismus bekommen.

«Es ist auch ein bisschen die Schuld meiner Generation, weil wir nie die ganze Geschichte erzählt haben. Wir sprachen notwendigerweise immer von Schuld, nie von Leiden. Damit ist das Bild aber auch sehr verkürzt und das ist für die Jugendlichen nicht immer gut.» Boie fände es schön, wenn ihr Buch ein Teil des Unterrichts würde. «Als ehemalige Deutschlehrerin wünsche ich es mir. Aber ich fürchte, es ist dafür zu lang.»

Von Christiane Bosch, dpa

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