Maschinen können Bilder malen, Musik komponieren – und inzwischen auch sinnvolle Texte schreiben. Der Grund für Letzteres heißt ChatGPT: Der populäre Chat-Roboter, den man im Internet auffordern kann, Texte zu allen möglichen Themen zu verfassen. Und die sind gar nicht schlecht, lassen sich jedenfalls auf den ersten Blick nicht von einem von Menschenhand verfassten Text unterscheiden.
Vor einiger Zeit hat eine künstliche Intelligenz Ludwig van Beethovens 10. Sinfonie vollendet. DALL-E – wie ChatGPT vom US-amerikanischen Unternehmen OpenAI entwickelt – ist ein Computerprogramm, das bildende Kunst erschafft. Und jetzt also Literatur von Robotern, von jedem Menschen mit Internetzugang herstellbar? Die jüngste Weiterentwicklung von ChatGPT kann sogar Text- und Bilderstellung kombinieren. Eine Entwicklung, die manchen Menschen Angst macht. Wie sehr bedroht künstliche Intelligenz die Kunst?
Zweischneidiges Schwert
Fragen wir nach. «Künstliche Intelligenz (KI) kann sowohl eine Bedrohung als auch eine Chance für die Kunst darstellen, je nachdem, wie sie eingesetzt wird.» Die Antwort stammt aus der Quelle – von ChatGPT selbst.
Leibhaftige Expertinnen und Experten beschäftigen sich tiefergehend mit dem Thema. Zum Beispiel Konrad Zerr, Professor für Marketing sowie Markt- und Kommunikationsforschung an der Hochschule Pforzheim. «Das Potenzial halte ich für riesig», sagt er.
In einem Projekt hat Zerr Studierende beauftragt, KI-Kunstwerke zu schaffen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer forderten ChatGPT zum Beispiel auf, ein Gedicht im Stil von Heinrich Heine zu schreiben, das von Menschen erzählt, die auf einem Weihnachtsmarkt über Glühwein in Streit geraten.
Gemischte Ergebnisse
Die Ergebnisse waren unterhaltsam. Die Studierenden selbst sagten in ihrer Auswertung: «Ob nun tatsächlich die verstorbenen großen Poeten in unseren KI-generierten Gedichten wiederzuerkennen sind, sei an dieser Stelle zu bezweifeln.»
Literarisch herausragend sind die Texte nicht. Fordert man ChatGPT etwa auf, eine Geschichte über eine Katze im Stil von Franz Kafka zu schreiben, ploppt eine verdächtig an «Die Verwandlung» erinnernde, lustlose Zusammenfassung über eine Katze namens Kiki auf, die eines Tages «erwachte und etwas Seltsames bemerkte».
Doch es gibt andere Beispiele. Der Fotograf und «Digital Creator» Julian van Dieken hat mithilfe einer KI das Bild «A Girl With Glowing Earrings» erschaffen. Es ist angelehnt an das berühmte Gemälde «Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge» des niederländischen Malers Jan Vermeer – und hängt aktuell im Mauritshuis in Den Haag.
Das sorgte für Entrüstung bei manchen Besucherinnen und Besuchern. Warum hat das renommierte Museum das Kunstwerk ausgewählt? «Ganz einfach: Weil wir das Bild mochten», sagt ein Sprecher.
Schon vor einiger Zeit hat eine von der Agentur Tunnel23 mit Algorithmen gefütterte KI ein Gedicht erstellt, damit an einem Wettbewerb der Brentano-Gesellschaft teilgenommen – und es bis in deren Anthologie geschafft.
Kunst in Gefahr?
Befinden wir uns also auf direktem Weg zu einer von Robotern durchsetzten Kunstwelt? Naja. «Kunst ist immer auch ein Interaktionserlebnis, bei dem sich Menschen mit Sichtweisen auf Realität auseinandersetzen.» Das sagt die Privatdozentin Jessica Heesen von der Universität Tübingen. Sie beschäftigt sich unter anderem mit ethischen und philosophischen Debatten im Bereich Medien und Digitalisierung.
Bei einer KI gehe es immer nur um Mustererkennung und Wahrscheinlichkeitsberechnung, sagt Heesen. Es fehle «aber die Person des Künstlers/der Künstlerin, es fehlt die Aura des Originals und es fehlt auch die Provokation. Bei wem soll man sich über ein Kunstwerk beschweren?»
Ob Roboter der Kunst gefährlich werden könnten, komme aber «ganz auf den Kunstbegriff an, mit dem man auf KI schaut», ergänzt sie. «Für einfache schmückende Bilder, die manche sich in der Küche oder im Wohnzimmer an die Wand hängen, werden wir in Zukunft sicher zahlreiche KI-Bilder sehen.»
KI als Helferchen denkbar
Unbedingt sehen sowohl Zerr als auch Heesen in der KI eine mögliche Unterstützung für die Erstellung eines Kunstwerks. «Wenn es dazu auch einen Künstler/eine Künstlerin gibt, der oder die das Werk einbettet, kontextualisiert und präsentiert», sagt Heesen. Es sei eine Hilfe, meint Zerr. «Und es ermöglicht auch neue Formen der Kunst.»
Die kann man zum Beispiel gerade im Kunstmuseum Stuttgart bewundern. Dort begegnen den Besuchern der Ausstellung «Shift – KIT und eine zukünftige Gesellschaft» nicht nur eine brabbelnde chinesische Sexpuppe oder eine Wiedergängerin der schauspielenden Sängerin Marlene Dietrich als Deepfake, sondern auch zahlreiche Gesichter der US-Whistleblowerin Chelsea Manning.
Die 30 Masken der US-Künstlerin Heather Dewey-Hagborg in «Probably Chelsea» unterscheiden sich zwar, sie stammen aber alle aus einer genetischen Probe Mannings. So will Dewey-Hagborg zeigen, dass die Auswertung genetischer und personenbezogener Daten nicht immer eindeutig ist.
Untersuchen soll «Shift» «die bereits bestehende Verschränkung von KI und Lebensrealität». Allerdings sind die Installationen und digitalen Arbeiten zu komplex und kompliziert. Sie zeigen eher, dass es für die KI ein weiter Weg sein kann von Wissenschaft und Technik zu Inhalt und Qualität in der Kunst.
Der Blick in die Zukunft
Noch steht die Verknüpfung von KI und Kunst am Anfang. «Es gibt einen allgemeinen Konsens darüber, dass KI-Systeme nicht an menschliche Kreativitätsleistungen heranreichen, zumindest bislang nicht, sollte man einschränkend hinzufügen», sagt Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart. Doch das Potenzial ist da.
Für die Zukunft beschreibt es Professor Zerr so: «Die Kreativbranche wird sich in den Prozessen und auch in den Kompetenzen grundlegend wandeln müssen. Diese Tools werden über kurz oder lang Standard sein.»