Einzelhändler, die mit ihrem Vermieter über die Miete im Corona-Lockdown streiten, können voraussichtlich nicht auf eine pauschale Halbe/Halbe-Regelung hoffen.
Wahrscheinlich müssen sämtliche Fälle vor Gericht einzeln genau geprüft werden, wie sich am Bundesgerichtshof (BGH) in der Verhandlung eines Musterfalls aus Sachsen abzeichnete. Die obersten Zivilrichterinnen und -richter in Karlsruhe wollen ihr Urteil am 12. Januar verkünden.
Mit den behördlich angeordneten Schließungen im Kampf gegen das Virus waren vielen Geschäften von einem Tag auf den anderen die Einnahmen weggebrochen. Feste Kosten wie die Miete fielen natürlich weiter an. Manche Vermieter zeigten Entgegenkommen, andere nicht.
Paragraf 313
Der Gesetzgeber hatte im Dezember 2020 reagiert und zum Jahreswechsel klargestellt, dass gewerbliche Mieter eine Anpassung ihres Mietvertrags verlangen können, wenn sie wegen Corona-Maßnahmen schließen müssen oder ihr Geschäft nur mit starken Einschränkungen öffnen dürfen. Grundlage dafür ist Paragraf 313 im Bürgerlichen Gesetzbuch, in dem die sogenannte Störung der Geschäftsgrundlage geregelt ist. Damit ist gemeint, dass Mieter und Vermieter den Vertrag nicht in dieser Form geschlossen hätten, wenn ihnen zu der Zeit schon klar gewesen wäre, was die Zukunft bringt.
BGH: Kein Anspruch
Das bedeutet aber nicht, dass Geschäftsinhaber automatisch Anspruch darauf haben, dass ihnen ein Teil der Miete erlassen wird. Es ist zum Beispiel genauso möglich, dass der Vermieter nur einen Aufschub gewährt, also die fällige Miete stundet, aber nicht auf das Geld verzichtet. Die Gerichte haben bisher keine einheitliche Linie.
In dem ersten Fall, der jetzt am BGH geklärt wird, geht es um eine Filiale des Textil-Discounters Kik im Raum Chemnitz, die vom 19. März bis zum 19. April 2020 schließen musste. Der Vermieter will für die Zeit die volle Miete von rund 7850 Euro. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hatte entschieden, dass Kik nur ungefähr die Hälfte zahlen muss. Es gehe hier nicht um ein «normales» Risiko, «sondern um weitgehende staatliche Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben aufgrund einer Pandemie». Das Risiko einer solchen Systemkrise könne nicht einer Vertragspartei allein zugewiesen werden.
50/50-Lösung zu pauschal
Diese 50/50-Lösung ist den BGH-Richtern aber augenscheinlich zu pauschal. Sie sind der Meinung, dass zum Beispiel mitberücksichtigt werden muss, ob der betroffene Geschäftsinhaber staatliche Hilfen oder Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung bekommen hat. «Das dürfte eine umfassende Prüfung aller Umstände des Einzelfalls voraussetzen», sagte der Vorsitzende Hans-Joachim Dose.
Sein Senat tendiert daher dazu, das Dresdner Urteil aufzuheben. Die OLG-Richter müssten sich den Fall dann noch einmal genauer anschauen.
Anwalt Thomas Winter, der vor dem BGH den Vermieter vertritt, argumentierte, der Vertrag sei 2013 für zehn Jahre geschlossen worden, also für 120 Monate. Bei dem einen Monat Lockdown gehe es um nicht einmal ein Prozent der vereinbarten Mietzeit. Ihm leuchte nicht ein, weshalb das Weiterzahlen der Miete hier unzumutbar sein sollte. «Mieter und Vermieter sind keine Solidargemeinschaft.»
Richter Peter Günter, der für das Verfahren zuständige Berichterstatter, sieht beide dagegen in einem Boot: «Es ist durchaus etwas, was beide betrifft, womit beide nicht gerechnet haben.» Auch der Vermieter sei durch die Pandemie beeinträchtigt – so würde er im Lockdown wohl kaum einen neuen Mieter finden. Er plädierte dafür, immer den Einzelfall anzuschauen. Das Ergebnis 50/50 wäre zwar einfach, werde der Wirklichkeit aber nicht gerecht, sagte er.
Der Vertreter von Kik, BGH-Anwalt Siegfried Mennemeyer, warnte davor, im Fall des Textil-Discounters mit deutschlandweit rund 2600 Filialen einfach zu sagen, hier gehe es ja um einen großen Mieter. Man müsse sich jedes Objekt einzeln anschauen. (Az. XII ZR 8/21)