Der Deutsche Fußball-Bund darf Vereine weiterhin wegen des Verhaltens ihrer Zuschauer mit Geldstrafen belegen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa)

Fußballclubs müssen auch in Zukunft damit rechnen, wegen Krawallmachern unter ihren Fans eine Geldbuße aufgebrummt zu bekommen. Der Deutsche Fußball-Bund erhielt für seine seit langem umstrittenen Vereinsstrafen höchstrichterlichen Segen aus Karlsruhe.

Der Bundesgerichtshof (BGH) erklärte die Praxis in einer Grundsatzentscheidung für zulässig. Der unterlegene FC Carl Zeiss Jena, der sich zu Unrecht bestraft sieht, denkt jetzt noch über eine Verfassungsbeschwerde nach. (Az. I ZB 54/20) In der Fan-Szene herrscht Enttäuschung und Entsetzen.

Die Geldstrafen werden vom DFB-Sportgericht zum Beispiel verhängt, wenn im Stadion Bengalos gezündet oder aus dem Fanblock Gegenstände aufs Spielfeld geworfen werden. Denn der DFB macht in seiner Rechts- und Verfahrensordnung die Vereine für das Verhalten ihrer Anhänger und Zuschauer verantwortlich. Sie haften «im Stadionbereich vor, während und nach dem Spiel für Zwischenfälle jeglicher Art».

Fans sollen ihren Clubs nicht schaden

Je nach Schwere des Vorfalls und Finanzkraft des Clubs kann es um bis zu sechsstellige Summen gehen, das Geld fließt an Stiftungen und Projekte. Die Idee dahinter: Die Fans sollen sich zusammenreißen, um ihrem Verein nicht zu schaden. Aus DFB-Sicht geht es nicht anders.

Fan-Organisationen protestieren seit Jahren gegen diese Praxis und hatten große Hoffnungen in den BGH gesetzt. Die zentrale Frage war: Dürfen die Vereine wegen etwas bestraft werden, für das sie eigentlich nichts können? Jenas Geschäftsführer Chris Förster sagt immer wieder, sein Club tue alles, um solche Vorfälle zu verhindern.

Trotzdem bekam Jena immer wieder Geldbußen aufgebrummt. Vor dem BGH ging es um Störungen von zwei Heimspielen und einer Auswärtspartie 2018, als der heutige Regionalligist noch in der dritten Liga spielte. Nach einem Urteil des DFB-Sportgerichts sollte der FCC dafür insgesamt knapp 25.000 Euro zahlen.

Strafen eigentlich Präventivmaßnahmen

Juristisch geht es hier um das Schuldprinzip, das in der Rechtsordnung sogar Verfassungsrang genießt: Es besagt, dass jede Strafe oder strafähnliche Sanktion Verschulden voraussetzt, wie der Vorsitzende Richter Thomas Koch bei der Verkündung erläuterte. Aber: Rein rechtlich halten die BGH-Richterinnen und -Richter die Geldstrafen des DFB gar nicht für eine Strafe – auch wenn sie so heißen. Die Vereine sollten durch die Geldstrafen dazu angehalten werden, einen ordnungsgemäßen Spielbetrieb zu gewährleisten und auf ihre Anhänger einzuwirken, sagte Koch. Die Strafen seien also eigentlich Präventivmaßnahmen. Und damit zulässig.

Förster hat wenig Verständnis dafür. «Die Prävention, die damit einhergehen soll, hat sich über die Jahre eben auch nicht eingestellt», sagte er in einer ersten Reaktion in Karlsruhe. «Insofern kann man diesen präventiven Charakter durchaus mal infrage stellen: Der ist nicht von der Praxis gedeckt.»

Ähnlich sieht es das Fan-Bündnis «Unsere Kurve». «Indem sich der BGH der Argumentation vom DFB bezüglich des präventiven Charakters von Verbandsstrafen anschließt, verschließt er die Augen davor, dass diese sogenannten präventiven Maßnahmen immer als Strafe wahrgenommen und auch in dieser Logik eingesetzt werden», heißt es in einer Stellungnahme. Die Verbandsstrafen hätten den Beweis ihrer positiven Wirkung noch nicht erbracht und seien nicht lösungsorientiert.

Pyrotechnik beim Pokalfinale

Förster verwies darauf, dass der DFB selbst das Pokalfinale in Berlin veranstaltet. «Und dort findet regelmäßig Pyrotechnik statt. Wie kann es sein, dass der DFB es selbst nicht hinbekommt?» Zuletzt wurde 2019 beim Finale zwischen dem FC Bayern und RB Leipzig gezündelt.

Der DFB sieht sich auf voller Linie bestätigt. Interimspräsident Rainer Koch erklärte: «Der BGH hat heute die seit Jahren geführten rechtlichen Auseinandersetzungen gegen die nationale und internationale Sportrechtsprechung zur Haftung von Vereinen für Fehlverhalten ihrer Anhänger beendet.» Damit sei «abschließend und zweifelsfrei sichergestellt», dass die DFB-Rechtsorgane ihre Arbeit uneingeschränkt fortsetzen und die Unterstützung und Mitwirkung der Vereine einfordern könnten, um Störungen zu vermeiden.

Nach einem früheren Urteil aus Karlsruhe können sich die Vereine zwar von den Krawallmachern das Geld als Schadenersatz zurückholen. Dafür müssen diese aber erst einmal ausfindig gemacht werden.

Nur noch Verfassungsbeschwerde denkbar

Mit der Entscheidung des BGH, die trotz mündlicher Verhandlung formal als Beschluss und nicht als Urteil erging, ist Jena vor den Zivilgerichten in letzter Instanz gescheitert. Allerdings kann ein Schiedsspruch auch nur aufgehoben werden, wenn er gegen die öffentliche Ordnung verstößt, wie der Senatsvorsitzende Thomas Koch erläuterte. Nun wäre nur noch eine Verfassungsbeschwerde denkbar. «Wir müssen uns jetzt das Urteil ansehen und entscheiden, ob es wert ist, da noch mal das Bundesverfassungsgericht anzufragen», sagte Förster.

Der Dachverband für Fanhilfen bezeichnete den Beschluss als «fatales Signal» für die Fan-Rechte. «Die vom DFB-Sportgericht verhängten Kollektivstrafen gegen Fans und Vereine widersprechen zutiefst dem Grundsatz der demokratischen Rechtsprechung», sagte Danny Graupner vom Verein der Fanhilfen. Dies sei eine «Sippenhaft, wie wir sie nur aus dem Mittelalter kennen» und zeige eindeutig, dass «das Verteilen von Kollektivstrafen mit der Gießkanne unverhältnismäßig ist».

Nach Ansicht des Fan-Experten Michael Gabriel wird das «ausgeprägte Gerechtigkeitsgefühl» junger Menschen in der Fanszene regelmäßig durch das spezifische Strafensystem im Fußball herausgefordert. «Zum Beispiel wenn große Gruppen von Fans für das Fehlverhalten einzelner bestraft werden, die sogenannten Kollektivstrafen», erklärte der Leiter der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS).

Konflikt weiter angeheizt?

Unter anderem deswegen tönen seit Jahren Schmähgesänge in Richtung DFB von den Rängen. «Unsere Kurve» äußerte die Befürchtung, dass «der Konflikt zwischen Fanszenen und dem DFB auf dem Rücken der Vereine» nun weiter angeheizt werde.

Beim Verband verweist man auf die feinen Unterschiede. «Eine Geldstrafe ist keine Kollektivstrafe. Ein Kollektivstrafe ist zum Beispiel ein Teilausschluss der Zuschauer», sagte Anton Nachreiner, der Vorsitzende des DFB-Kontrollausschusses auf der Homepage des Verbandes. Und: Zuschauerausschlüsse würden auch immer das letzte Mittel bleiben.

Beim DFB ging es derweil am Donnerstag wie gewohnt weiter: Nur wenige Stunden nach der BGH-Entscheidung wurde der Drittligist Hallescher FC mit einer Geldstrafe von 900 Euro belegt, weil bei einem Spiel mindestens drei Getränkebecher auf den Rasen flogen.

Von Anja Semmelroch und Ulrike John, dpa

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