Einkaufsstraße in London. Die Inflationsrate im Vereinigten Königreich ist im Juli auf 10,1 Prozent gestiegen, wie aus neuen Zahlen des Office for National Statistics hervorgeht. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Frank Augstein/AP/dpa)

Die ohnehin stark gestiegenen Verbraucherpreise haben in Großbritannien erneut einen Sprung gemacht. Im Juli kletterte die Inflation auf 10,1 Prozent und damit auf die höchste Rate seit Beginn der Erfassung vor 25 Jahren, wie das nationale Statistikamt ONS am Mittwoch mitteilte. Nach einer Rückrechnung des ONS dürfte die Inflation zuletzt im Jahr 1982 höher gelegen haben. Der Anstieg toppt selbst Erwartungen von Experten: Analysten hatten im Schnitt nur mit einem Anstieg von 9,4 auf 9,8 Prozent gerechnet.

Ungewöhnlicher Preisanstieg im Juli

Eine große Bandbreite an Preissteigerungen habe zu diesem Rekordwert geführt, sagte der ONS-Chefökonom Grant Fitzner. «Lebensmittelpreise sind stark gestiegen, vor allem Backwaren, Milchprodukte, Fleisch und Gemüse». Im Vergleich zum Juni steigerten sich die Preise im Juli noch einmal um 0,6 Prozent. Das sei eigentlich untypisch, meint Fitzner, da im Juli üblicherweise viele Rabattangebote in den Einkaufsstraßen zu einer sinkenden Inflation führten. Im Monatsvergleich wurden Kleidung und Schuhe auch diesmal tatsächlich billiger. Allerdings stiegen die Preise für Lebensmittel sowie Transportkosten umso stärker an.

Für rund die Hälfte des Anstiegs seien die steigenden Energiepreise verantwortlich, erklärte Fitzner. Die Preisexplosion in diesem Sektor wird aber erst im Herbst voll durchschlagen, wenn die in Großbritannien derzeit noch mit einem Preisdeckel regulierten Energiepreise deutlich ansteigen werden.

Ärmere Haushalt trifft es härter

Da jeder Haushalt Brot und Strom braucht, trifft es ärmere Haushalte stärker, wenn die Preise für solche Alltagsgüter in die Höhe schnellen. Das Institute for Fiscal Studies hat ausgerechnet, dass für das ärmste Fünftel der britischen Haushalte die Inflation sogar auf rund 18 Prozent steigen könnte, weil sie den größten Anteil ihres Geldes für Lebensmittel und Energie aufwenden müssen.

Ulrich Hoppe, der Direktor der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer, sieht jedoch auch noch einen anderen Grund: Besserverdienende in Bürojobs würden durch vermehrtes Arbeiten von zuhause noch zusätzlich Kosten für Zugticket oder Sprit sparen, während andere, die physisch vor Ort sein müssen, unter den steigenden Transportkosten leiden. «Das stellt sich eine Gerechtigkeitsfrage», meint Hoppe im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Keine Enspannung in Sicht

Doch für niemanden ist Entspannung in Sicht: Da im Herbstquartal der Preisdeckel für Energiepreise deutlich steigt, rechnen offizielle Schätzungen damit, dass die Verbraucherpreise im Herbst die Marke von 13 Prozent übersteigen könnten. Die Doktorandin Rebecca Brown etwa weiß bislang nicht, wie sie dann noch ihre Ausgaben decken soll. «Ich weiß wirklich nicht, was wir dann tun werden», sagt Brown im Gespräch mit der BBC.

Auf die Politik wächst der Druck, entschieden gegenzusteuern. Finanzminister Nadhim Zahawi erklärte den Kampf gegen die Inflation zwar am Mittwoch zur «Top-Priorität», de facto wollen er und der scheidende Premier Boris Johnson aber bis zum Regierungswechsel Anfang September keine größeren Entscheidungen mehr treffen. Rishi Sunak, einer der beiden verbleibenden Kandidaten für die Johnson-Nachfolge hat bereits Entlastungspakete versprochen. Doch die Favoritin für das Spitzenamt ist Außenministerin Liz Truss, die allen Warnungen zum Trotz Steuersenkungen durchsetzen will und darauf hofft, die Inflation so zu kontrollieren. Auf Entlastungszahlungen wollte sich die 47-Jährige bislang nicht festlegen.

Zinsanhebungen gegen die hohe Inflation

Die Bank of England stemmt sich seit einiger Zeit mit Zinsanhebungen gegen die hohe Inflation. Sie hat ihren Leitzins seit November mehrmals auf zuletzt 1,75 Prozent angehoben. Es wird damit gerechnet, dass die Bank diesen Kurs fortsetzen wird.

Dass die Preise im Vereinigten Königreich noch stärker steigen als in anderen G7-Ländern, führt die «Financial Times» unter anderem darauf zurück, dass britische Unternehmen die Preissteigerungen direkter an Kunden weitergeben, die Briten im vergangenen Jahr deutlich konsumfreudiger waren als zuvor und es im privaten Sektor Lohnsteigerungen von mehr als fünf Prozent gegeben habe.

Da der öffentliche Sektor bei Lohnerhöhungen deutlich hinterher hinkt, wächst dort die Unzufriedenheit. Es deutet sich eine Streikwelle an, die sich zu der größten seit den 70er Jahren auswachsen könnte. Derweil haben die Beschäftigten im Bahnverkehr in diesem Sommer schon mehrfach die Arbeit niedergelegt, die Belegschaften von Containerhäfen, Post und Telekom wollen in Kürze folgen.

Von Larissa Schwedes, dpa

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