Bruce Springsteen und Soul – diese Verbindung lag für viele nicht unbedingt auf der Hand, gilt der Rock-Superstar doch eher als starke Stimme eines weißen Arbeiterklasse-Amerika. Die Liebe zur schwarzen Musik trug der von Millionen Fans «The Boss» genannte Sänger gleichwohl immer in sich. So beschreibt Springsteen in seiner Autobiografie von 2016 mehrfach «Rock ’n‘ Soul» als angestrebten Stil, schwärmt von R&B-Helden wie James Brown oder Curtis Mayfield.
15 Soul-Cover
Nun ist daraus ein Überraschungsalbum mit 15 Soul-Coverversionen geworden – eine Verneigung vor afroamerikanischen Musik-Ikonen wie Aretha Franklin, The Temptations, Diana Ross und The Four Tops. Wie Sony als Label des größten noch lebenden US-Rockidols am Donnerstag mitteilte, kommt die von Studio-As Ron Aniello produzierte Platte mit dem Titel «Only The Strong Survive» am 11. November heraus (der Zusatz «Covers Vol. 1» deutet auf einen späteren Nachschlag hin).
«Soul, zusammen mit Gospel, gehört zur schönsten Gesangsmusik, die je aufgenommen wurde», sagt Springsteen mit hörbarer Begeisterung in einem Ankündigungsvideo. «Only The Strong Survive» ist eine der letzten großen Pop-Veröffentlichungen dieses Jahres – und Springsteens erste seit dem Nummer-eins-Album «Letter To You» (2020), seinem Studio-Comeback als Frontmann der legendären E Street Band. Mit deren Breitwandsound und mitreißenden Songklassikern – von «Born To Run» bis «The Rising» – bricht der 73-Jährige im Februar zu einer Welttournee auf. Erwartet werden wieder stundenlange Konzerte zur Feier eines herrlich altmodischen, verschwitzten Rock ’n‘ Roll.
Ob bei den Arena-Auftritten auch die dann frisch veröffentlichten Black-Music-Coverstücke eine große Rolle spielen, bleibt abzuwarten. Eigentlich ist die E Street Band, trotz viel gospelnaher Inbrunst auf der Bühne, keine echte Soul- oder R&B-Truppe. Und zweitens trennt der vielfache Grammy-Gewinner Springsteen, der weltweit über 130 Millionen Tonträger verkauft haben soll, Stil-Ausflüge meist vom Werk seiner stets mit Volldampf rockenden Stammband ab.
Das war schon bei den kargen, intimen Country-Folk-Skizzen von «Nebraska» so, einem in Fan-Kreisen innig verehrten Solowerk, das gerade 40 Jahre alt wurde. Oder bei «We Shall Overcome: The Seeger Sessions» (2006), Springsteens bislang einzigem Cover-Albumprojekt, einer sehr gelungenen Aneignung alter irisch-amerikanischer Lieder. Und auch «Western Stars» (2019), seine prächtige Hommage an den kalifornischen Softpop der 1970er, spielte «The Boss» nicht mit der E Street Band ein, sondern mit ihm weniger nahe stehendem Personal.
Nun also Soul im Springsteen-Stil – und die Frage: Kann der das, darf der das?
Unter den auf «Only The Strong Survive» angebotenen Songs sind einige Hits (etwa «Night Shift» von The Commodores oder «What Becomes Of The Brokenhearted» von Jimmy Ruffin), aber überwiegend weniger bekannte Juwelen von Dobie Gray, Tyrone Davis oder William Bell. Die von einem Video begleitete erste Single «Do I Love You (Indeed I Do)» wurde nach Sony-Angaben bereits 1965 veröffentlicht – damals ein Top-5-Hit, geschrieben und gesungen vom heute fast vergessenen Frank Wilson.
Die Titelauswahl
Schon die Titelauswahl zeigt, dass der italienisch- und irischstämmige Singer-Songwriter aus dem US-Bundesstaat New Jersey ein profunder Soul-Kenner ist – und Lieder gesucht hat, die zu seiner rau-reifen, weiterhin beeindruckend kraftvollen Stimme passen.
Eine gut 30-seitige wissenschaftliche Arbeit des US-Professors Joel Dinerstein («The Soul Roots of Bruce Springsteen’s American Dream») wies bereits vor 15 Jahren ernstzunehmende Beziehungen zwischen dem weißen Rocksänger und der schwarzen Musik nach. Springsteens Soul-Affinität sei «ein eigener Mix aus Befreiungstheologie, Katholizismus, amerikanischer Volksnähe, Existenzialismus und Afro-Christentum, mit eindeutigen Vorläufern in Blues, R&B, Soul, Country und verschiedenen Folk-Musikstilen».
Wenn man sich nun anschauen möchte, mit wie viel Hingabe Springsteen auch Soul-Songs zelebrieren kann, dann finden sich im Internet schon diverse Live-Mitschnitte – von «It’s All Right» (The Impressions) über «Lean On Me» (Bill Withers) bis «Soul Man» (Isaac Hayes/David Porter). Vor einigen Jahren definierte der Musiker diese Soul-Musik so: «Es ging um den Blues, die Kirche, die Erde und um den mit Sex durchtränkten Himmel. (…) Es war erwachsene Musik, gesungen von echten Soul-Männern und Soul-Frauen – nicht von Teenie-Idolen.»
Dass Springsteen kurz nach dem riesigen Bucherfolg «Renegades: Born in the USA» mit Ex-US-Präsident Barack Obama (2021) bereits ein neues Album in petto hat, war im Spätsommer durch Zufall – beziehungsweise einen «Spoiler» – ans Licht gekommen. Jann Wenner, dem Mitgründer des Musikmagazins «Rolling Stone», rutschte bei der Vorstellung seiner Memoiren dieser Satz heraus: «Und übrigens, es gibt eine neue Platte von Bruce, die noch diesen Herbst erscheint. Sie ist umwerfend.»
Ob heimlich abgesprochen oder nicht – im Netz war die Vorfreude groß. Auf den Social-Media-Kanälen kündigte der Sänger dann am Mittwoch kurzfristig Neuigkeiten an. Das Bild dazu zeigte ein uraltes Radiogerät, zu hören waren kurze Schnipsel von klassischem Soul in unveröffentlichten Springsteen-Versionen. Nun ist klar, was die Fans im November erwarten können: einen «Boss», der der afroamerikanischen Musik huldigt, und zwar mit nostalgischer Note. Fans des Stadionrock-Sounds der E Street Band müssen sich umstellen – für Springsteen ist «Boss ’n‘ Soul» aber wohl ein Herzensprojekt.
Nun ist klar, was die Fans im November erwarten können: einen «Boss», der auf seinem 21. Studioalbum der afroamerikanischen Musik huldigt, und zwar mit nostalgischer Note. Fans des Stadionrock-Sounds der E Street Band müssen sich umstellen – für Springsteen ist «Boss ’n‘ Soul» aber ein Herzensprojekt. «Ich habe mich unter anderem von Levi Stubbs, David Ruffin, Jimmy Ruffin, dem Iceman Jerry Butler, Diana Ross, Dobie Gray und Scott Walker inspirieren lassen», zitiert ihn sein Label. «Ich habe versucht, ihnen allen und den fabelhaften Autoren dieser glorreichen Musik gerecht zu werden.»