«Dieser Vorfall hat meine Fantasie sofort angeregt», sagt Michael Bully Herbig über den Fall Relotius. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

2018 erschütterte ein Skandal um gefälschte Reportagen von Claas Relotius das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel». Ein Erdbeben, das die Medienbranche erschütterte. Michael Bully Herbig («Der Ballon», «Der Schuh des Manitu») hat diesen Stoff nun verfilmt. In «1000 Zeilen» spielt Jonas Nay den Reporter Lars Bogenius, dessen Schummeleien von dem Journalisten Juan Romero (Elyas M’Barek) entlarvt werden. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur in München erzählt der Münchner Filmemacher Herbig, warum ihn diese Geschichte von Beginn an faszinierte.

Was haben Sie gedacht, als der Relotius-Skandal bekannt wurde?

Herbig: Das war eine mediale Bombe. Dieser Vorfall hat meine Fantasie sofort angeregt. Prinzipiell bin ich ja immer auf der Suche nach Geschichten. Und Hochstapler-Geschichten interessieren mich ohnehin. Nicht, dass ich dem irgendwie nacheifern würde. Aber ich finde diese Figuren interessant, ihre Motivationen. Ich bin glücklicherweise noch auf keinen Hochstapler reingefallen, zumindest habe ich es nicht gemerkt.

Was genau fasziniert Sie an solchen Charakteren?

Herbig: Ihr Erfolgsmodell ist ja, dass sie sehr charmant, sehr einnehmend, manchmal vielleicht schüchtern sind. Manchmal kommen sie vielleicht hilflos daher und wickeln dich um den Finger. Dass sie das so durchziehen und sich ihre Lügen merken können, finde ich erstaunlich. Das war auch der Grund, warum ich früh mit dem Lügen aufgehört habe, so mit zehn, elf Jahren. Ich konnte mir die Flunkerei einfach nicht merken.

Haben Sie als Kind öfter gelogen?

Herbig: Ich habe das mal versucht, weil ich eine rege Fantasie hatte und gerne Geschichten erfunden habe. Das kam ganz gut an. Aber irgendwann habe ich festgestellt, ich weiß nicht mehr, wem ich was erzählt habe. Da habe ich mich dann entschieden, bei der Wahrheit zu bleiben, die kann man sich immer merken. Abgesehen von kleinen Schummeleien, gerade an Weihnachten. Da hab‘ ich richtig Spaß dran.

Was muss ein guter Lügner mitbringen?

Herbig: Irgendwas zwischen Veranlagung und Talent. Es gibt eine Szene im Film, in der Bogenius auf der Bühne steht, um einen Preis entgegenzunehmen für eine Reportage, die er erfunden hat. Zeitgleich droht die Bombe jeden Moment zu platzen und er könnte auffliegen. Trotzdem zieht er sein Ding weiter durch – ist das Verdrängung? Oder ein Gefühl von Unbesiegbarkeit? Ich weiß es nicht.

Wie eng haben Sie sich im Film an reale Ereignisse gehalten?

Herbig: Mal so, mal so. Das ist ja das Schöne an dem Stoff: Der Hochstapler hält sich nicht an die Fakten, dann muss ich das auch nicht. Ich wollte einen Unterhaltungsfilm machen und ich wollte mir die Freiheit nehmen, kleine Handlungsstränge zu erfinden. Ich wollte ein paar kleine Haken schlagen, damit Leute, die das Buch gelesen haben, auch ihren Spaß haben.

Wie hat sich der Fall auf die Glaubwürdigkeit der Presse ausgewirkt?

Herbig: Das war ein Desaster. Meine Großmutter hat früher schon zu mir gesagt, du musst nicht immer alles glauben, was in der Zeitung steht. Im Boulevard-Journalismus können das auch die meisten richtig einordnen, hoffe ich zumindest. Aber Falschinformationen haben massiv zugenommen und durch das Internet verbreiten sie sich rasend schnell. Und damit wird gutes Geld verdient.

Welche Aufgabe haben die Leser?

Herbig: Sie müssen es selber filtern. Ich hab‘ auch schon am eigenen Leib erfahren, dass Zeug über mich geschrieben wurde, wo du sagst, «wie kommen Sie denn auf sowas?». Manchmal wird übertrieben oder einfach nur ein Zitat aus dem Kontext gerissen.

Das Internet vergisst nichts.

Herbig: Früher hat sich so etwas versendet, als es nur das lineare Fernsehen gab. Da hat man sich gedacht, darüber spricht nächste Woche keiner mehr. Ähnlich war es mit den Zeitungen. Aber jetzt bleibt es online und nicht wenige schreiben ungeprüft ab. Ich finde es gefährlich, wenn nicht mehr selber recherchiert wird.

Was bedeutet so ein Skandal wie der um Relotius in Zeiten, in denen von Lügenpresse die Rede ist?

Herbig: Das spielt den falschen Leuten in die Hände. Für Menschen, die grölend durch die Straßen ziehen und nur noch von Lügenpresse sprechen, ist das natürlich Wasser auf die Mühlen. Die freuen sich über so was.

Ist es für Sie schwieriger geworden, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, weil ja überall Leute mit Handykameras lauern?

Herbig: Ja, das ist tatsächlich schwieriger. Das führt dazu, dass du noch vorsichtiger wirst, wenn du dein enges Umfeld und deine Familie raushalten und schützen willst. Für mich ist es schwer nachzuvollziehen, dass es Leute gibt, die in den sozialen Medien bewusst ihre Kinder vor die Kamera zerren. Vor allem, wenn die Eltern damit Geld verdienen wollen.

Gerade auf der Wiesn lassen sich ja viele Prominente blicken und fotografieren. Besuchen Sie auch gern das Oktoberfest?

Herbig: Ich bin kein leidenschaftlicher Wiesngänger. Ich war als Teenager so oft auf dem Oktoberfest, fast täglich. Das letzte Mal war ich vor ein paar Jahren mit meinem Sohn, als er noch kleiner war, auf der Oidn Wiesn. Ich habe irgendwann gemerkt, dass man meinen Namen auch mit 4,0 Promille noch über die Straße grölen kann: «Bullyyy!». Ich bin auch keiner, der gerne im Bierzelt hockt. Dann kommt dazu, dass ich kaum Alkohol trinke. Nach einer Maß schlafe ich ein.

Zur Person:Michael Bully Herbig schauspielert, schreibt Drehbücher, produziert und führt Regie. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die TV-Show «Bullyparade», Komödien wie «Der Schuh des Manitu» oder der Kinderfilm «Wickie und die starken Männer». Auch ernste Filme hat er gedreht, etwa die DDR-Flucht-Geschichte «Ballon». Der 54-Jährige lebt mit seiner Familie in München.

Interview: Cordula Dieckmann, dpa

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