Beste Freunde: Campino und Marteria. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)

Genau zehn Jahre ist «Ballast der Republik» jetzt alt – das Album, auf dem Die Toten Hosen zusammen mit Marteria den Zustand ihres, also unseres Landes aufspießten.

Die Punkrocker aus Düsseldorf und der Rapper aus Rostock – das war eine scheinbar gewagte, letztlich aber sowohl künstlerisch als auch kommerziell sehr erfolgreiche Kombination. «Im Kopf und auf den Schultern, der Ballast der Republik» – der gemeinsam getextete Titelsong arbeitete sich mit verbaler Wucht an den damaligen Ost-West-Befindlichkeiten ab.

Witziges Spiel mit den Klischees

Weniger Wut als Witz ist im Spiel, wenn die Hosen und Marteria nun per Doppel-Single das Thema – und ihre persönliche Freundschaft – neu aufgreifen. «Scheiss Wessis» singt Band-Frontmann Campino der eigenen Klientel augenzwinkernd ins Stammbuch, mit «Scheiss Ossis» hält der Hip-Hopper aus Meck-Pomm cool dagegen.

Es sind fein beobachtete, aber nicht verletzende Ossi-Wessi-Klischees, die hier aufeinandertreffen. Die am Freitag erschienenen Songs werden von kongenialen Single-Hüllen (Bundes-Grün gegen Ostzonen-Blau) und Video-Gags (Trabbi gegen Opel-Oldtimer) begleitet. Sehr gelungen, das Ganze.

Rückblende: Mitte Februar, ein Samstagmorgen im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg. In einem gemütlich eingerichteten Studio mit diversen Goldenen Schallplatten und Comic-Plakaten an den Wänden treffen sich Campino und Marteria zu einigen wenigen Interviews über ihr neues Deutschland-Projekt.

Der Hosen-Sänger wird im Juni 60, der Hip-Hop-Star im Dezember 40 Jahre alt – aber der Altersunterschied spielt hier keine Rolle. Diese beiden so unterschiedlichen Musiker sind beste Kumpels, das spürt man vor und in dem Gespräch sofort.

Zwei Seiten der Medaille

«’Scheiss Wessis‘ war das erste Lied, und dann hat Campi gesagt: Ey, wenn wir dieses Lied haben, brauchen wir auch die andere Seite der Medaille. So, Du machst jetzt ‚Scheiss Ossis’», erzählt Marten Laciny alias Marteria der Deutschen Presse-Agentur lachend. «Da musste ich erstmal drüber nachdenken, denn ‚Scheiss Wessis‘ ist mir als Ossi natürlich geläufiger, man begegnet dem jeden Tag. Sehr schön war der Spaß daran. Der fällt ja heutzutage bei vielen Themen weg.»

Auch Campino sieht in beidseitiger Selbstironie große Möglichkeiten: «Dadurch, dass wir uns selbst durch den Kakao ziehen, können wir uns ein ganz anderes Maß an Unkorrektheiten erlauben», sagt der westdeutsche Punkrocker. «Für mich war klar: Wir drehen die Sache so richtig auf, wenn es noch diesen Gegensong ‚Scheiss Ossis‘ gibt.»

Eine «Riesenspielwiese» sei die neue Kooperation der Toten Hosen mit Marteria gewesen, betont Campino. In einem ergänzenden Statement kurz vor der Single-Veröffentlichung fügt er bedrückt hinzu: «Allerdings haben wir die Lieder vor drei Monaten geschrieben und eingespielt, und damals war die Welt noch eine andere. Seit dem Angriffskrieg von Putin in der Ukraine ist nichts mehr so, wie es vorher war und auch unsere beiden Lieder erscheinen in dem neuen Kontext anders als gedacht.»

Dennoch, es bleibe dabei: «Unsere Songs sind ein Plädoyer für das Zusammenstehen, für Gemeinsamkeiten und für Freundschaft. Deshalb passen sie vielleicht doch besser in diese Zeit, als man auf den ersten Blick erkennen kann.»

«Ein Fremdeln und ein Haufen Vorurteile zwischen Ost- und Westdeutschen», über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung – das treibt Campino und Marteria künstlerisch weiterhin um, aber nicht auf der persönlichen Ebene. Was mit dem Kennenlernen bei einem Festival begann, ist zu einer mustergültigen Ossi-Wessi-Freundschaft gereift.

Es hat Klick gemacht

«Wir haben keine zehn Sekunden gebraucht, ums uns zu verstehen und uns unmittelbar in ein Gespräch zu vertiefen», erzählt Campino im dpa-Gespräch. «Zunächst haben wir über Musik geredet, aber dann lag da ein Fußball rum, also haben wir rumgekickt, viel gelacht, und es gab sofort eine große Bandbreite an gemeinsamen Themen.»

Zwanzig Jahre Altersunterschied seien zwar «schon eine Hausnummer», räumt der Hosen-Frontmann ein. «Und auch der Background war ein ganz anderer – ich habe zum Beispiel die alte Bundesrepublik noch voll erlebt, während Marten aus Rostock, also der ehemaligen DDR kommt. Das waren aber Sachen, die wir gegenseitig spannend fanden.»

Marteria sieht es genauso: «Es ist eigentlich sehr selten, dass es so Klick macht, aber bei uns war das so. Diese Ausstrahlung, die Campi hat, dieses Positive, nicht so von oben herab – das wurde mir ja auch immer nachgesagt. Es hat uns einfach verbunden, dass wir sehr offene Menschen sind und den Leuten erstmal mit ’nem Lächeln begegnen.»

Gemeinsames Songschreiben für «Ballast der Republik» (2012) und jetzt für die Ossi-Wessi-Single, aber auch viele private Kontakte haben die Künstlerfreundschaft von Campino und Marteria geprägt. Beide Männer haben Söhne, «und irgendwann beschlossen wir: Komm, wir nehmen die Kids und fahren zusammen weg», sagt der Düsseldorfer. «Das hat einen ganz anderen Unterbau geschaffen, dass man abends zusammen Kniffel und ‚Mensch ärgere dich nicht‘ spielt, Fish & Chips holen geht oder am Strand Fußball spielt.»

Von Werner Herpell, dpa

Von