Kampf gegen «Dickmacher», neue Kennzeichnungen in Supermärkten und Restaurants, mehr Tierschutz in den Ställen.
Die voraussichtlichen Ampel-Koalitionäre von SPD, FDP und Grünen planen eine Reihe von Neuregelungen, um die Landwirtschaft nachhaltiger und gesündere Ernährung einfacher zu machen. Was bringt das etwa bei Preisen und Packungsaufdrucken für Millionen Verbraucher? Für die Bauern, die ohnehin unter Kostendruck stehen, soll eine gesicherte Finanzierung organisiert werden. Denn mehr Umweltschutz und höhere Standards kosten auch mehr. Viele Details sind aber noch zu klären.
Die Grünen setzen in der neuen Regierung auf deutliche Fortschritte für einen Umbau der Lebensmittelproduktion. «Die Agrarwende und die Ernährungswende gehören zusammen», sagte die Fachpolitikerin Renate Künast am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. «Dafür kommt eine verpflichtende Haltungskennzeichnung für Fleisch und andere tierische Erzeugnisse – im Handel, aber auch bis hin zu Kantinen, Mensen und Restaurants.» FDP-Agrarexperte Gero Hocker betonte, die Ampel eröffne Tierhaltern wieder eine Perspektive. «Notwendige Investitionen und laufende Kosten werden zukünftig durch den Markt getragen.»
Das steht im Koalitionsvertrag
Konkret vereinbarten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag: «Wir führen ab 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, die auch Transport und Schlachtung umfasst.» Ziel sollen «verbindliche EU-weit einheitliche Standards» dafür sein. Vorgesehen ist auch eine «umfassende Herkunftskennzeichnung» tierischer Produkte. So soll ein neuer Anlauf kommen, damit Verbraucher mehr Klarheit erhalten und höherwertig hergestellte Produkte auch stärker in den Blick rücken.
Die konkrete Umsetzung dürfte aber nicht ganz leicht werden, nachdem Vorbereitungen für ein staatliches Tierwohl-Logo erst kürzlich erneut gescheitert waren. Die scheidende Ministerin Julia Klöckner (CDU) hatte eine Kennzeichnung oberhalb des gesetzlichen Standards auf den Weg gebracht, die auf freiwilliger Basis zu nutzen sein sollte – und wiederholt darauf verwiesen, dass dies verbindlich nur EU-weit ginge. Es existiert außerdem auch schon eine eigene Fleischkennzeichnung der großen Handelsketten. Das Logo mit der Aufschrift «Haltungsform» hat vier Stufen, die schon mit dem gesetzlichen Mindeststandard beginnen.
Effekt der Kennzeichnung auch in anderen Bereichen
Grünen-Expertin Künast setzt auf einen Schub durch die geplante neue Kennzeichnung auch weit über Supermärkte hinaus – denn so entstünden mehr Absatzgelegenheiten für Produkte nach höheren Standards und Transparenz für die Kunden. «Ein schickes Restaurant muss sich dann überlegen, ob es ein tolles Steak auf der Speisekarte hat, das Fleisch aber aus einer unteren Stufe der Tierhaltung stammt.»
Konkret zu regeln ist aber die Finanzierung von Mehrkosten für die Höfe, die etwa bei neuen Ställen über Jahre angelegt werden muss. Entwickelt werden soll dafür ein «durch Marktteilnehmer getragenes finanzielles System», heißt es im Koalitionsvertrag eher vage. Mit den Einnahmen sollen zweckgebunden laufende Kosten und Investitionen gefördert werden, ohne den Handel «bürokratisch zu belasten». Doch wie genau? Auf dem Tisch liegen Modelle wie eine Tierwohlabgabe oder eine Mehrwertsteuererhöhung für tierische Produkte. Denkbar wären nach Vorschlägen einer Kommission 40 Cent mehr pro Kilo Fleisch.
«Bauern bekommen eine Honorierung für Mehrkosten und Investitionen, wenn sie höhere Standards umsetzen», sagte Künast. FDP-Experte Hocker hob auch vereinbarte Erleichterungen beim Bau- und Genehmigungsrecht hervor. «Damit können Verbesserungen des Tierwohls tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden.» Die Union monierte fehlende Klarheit. «Für viele Betriebe wird sich die Frage stellen, ob sich Investitionen noch lohnen», sagte CSU-Experte Artur Auernhammer. Bauernpräsident Joachim Rukwied begrüßte den Kurs zu einer umwelt- und klimagerechten Landwirtschaft, die auch gute wirtschaftliche Perspektiven biete. Der Umbau könne nur gelingen, wenn er als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werde und «wirtschaftliche Nachhaltigkeit» gewährleiste.
Weitere Ziele der Koalition
Weitere Ziele der Ampel sind darüber hinaus nun auch fixiert: So soll der Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent statt der bisher angepeilten 20 Prozent der Agrarfläche zulegen. Jüngster Stand: 10,3 Prozent. Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisierte generell, die neue Regierung solle keine weitere Zeit mit «nationalem Klein-Klein» und freiwilligen Maßnahmen der Branche vergeuden. Sie müsse für strengere gesetzliche Vorgaben auf EU-Ebene sorgen. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten sprach dagegen von einem Hoffnungsschimmer nach 16 Jahren «Stillstand» im unionsgeführten Landwirtschaftsministerium.
Mit Blick auf eine ausgewogenere Ernährung vereinbarte die Ampel unter anderem: «An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben.» Forderungen von Verbraucherschützern und Medizinern nach einer stärker reduzierten Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse oder einer «Limo-Steuer» auf gezuckerte Getränke schafften es aber nicht in den Koalitionsvertrag.
Neue Verhältnisse dürften auch in der Regierung selbst einziehen. Denn das Agrar- wie das Umweltministerium, zwischen denen es bisher fast schon traditionelle Reibereien gab, gehen an die Grünen. «Nach dem ewigen Gezerre zwischen beiden Ressorts kann jetzt eine neue Kooperation beginnen», sagte Künast. «Das schafft mehr Klarheit und kann mittelfristig dazu führen, dass mehr Verlässlichkeit, Planungssicherheit und Respekt für die Bauern entsteht.»