Hauptbahnhöfe, Imbissbuden, Plattenbauten. Für die meisten Menschen sind das Orte, die sie eher schnell wieder verlassen wollen. Nicht so für Clemens Meyer. In seinen Geschichten verharrt der Leipziger Schriftsteller an solchen Schauplätzen und folgt den Menschen, die sie bevölkern – Außenseitern am Rande der Gesellschaft. So auch in seinem Erzählband «Die stillen Trabanten», der am 1. Dezember als Verfilmung in die Kinos kommt.
Ein tolles Ensemble hat sich dafür zusammengefunden. Martina Gedeck, Nastassja Kinski, Albrecht Schuch und Peter Kurth gehören dazu. «Die stillen Trabanten» folgt den Leben mehrerer Menschen in Leipzig, die zum Teil lose miteinander verbunden sind. Sie alle sind einsam, schlagen sich durch, und genießen die kurzen Momente zwischenmenschlichen Glücks, die ihnen im Laufe der Zeit geschenkt werden.
Man beobachtet die Menschen in diesem Film gerne, was zum einen an den grandiosen Schauspielerinnen und Schauspielern liegt. Und zum anderen an Meyers Erzählkunst, die es schafft, das Zärtliche mit dem Brutalen zu verbinden – und das immer ganz beiläufig und subtil. Meyer hat das Drehbuch gemeinsam mit Regisseur Thomas Stuber verfasst, wie schon bei «In den Gängen».
Die Suche nach Geborgenheit
Er erzählt zum Beispiel vom Leben des Imbissbuden-Betreibers Jens (Schuch). Der steht mit einer Schürze zwischen seinen brutzelnden Fleischbatzen, sächselt mit seinen Kunden und wirkt dabei, man weiß nicht warum, zart und liebevoll. Er verliebt sich in seine Nachbarin Aischa (Lilith Stangenberg), die zum Islam konvertiert ist und heimlich mit Jens in einem Außenbereich des Plattenbaus raucht, in dem sie leben.
Dann ist da die Reinigungskraft Christa (Gedeck), die am Bahnhof arbeitet, ebenso wie die Friseurin Birgitt (Kinski in ihrer ersten größeren Kinorolle seit längerem). Bei Sekt und Mariacron kommen die Beiden ins Gespräch, treffen sich von nun an öfter in einer Bahnhofskneipe. «Und du, hast du jemanden?», fragt Christa einmal. Ein anderes Mal legt sie ihre Hand auf den Tisch. Ganz vorsichtig legt Birgitt ihre erst hinein, zieht sie dann weg. Kurzes Gespräch, und Christa legt ihre Hand nochmal auf den Tisch. Birgitt zögert – und greift dann doch nur zum Feuerzeug, das daneben liegt.
In «Die stillen Trabanten» gibt es viele solcher Szenen, die von der Suche nach Geborgenheit erzählen. Im Zentrum steht die Intimität, die die Figuren in den einzelnen Episoden zaghaft miteinander verhandeln.
Nachtgestalten in Trabanten-Städten
Meistens ist es dabei nachts. So auch bei Wachmann Erik (Charly Hübner), der beim Rundgang über das Gelände eines Wohnheims für Geflüchtete Gefühle für die junge Marika (Irina Starshenbaum) entwickelt. Durch einen Zaun hindurch fangen sie ein Gespräch an. Später masturbiert Erik in Erinnerung daran an eine Containerwand gelehnt. Eine trostlose Szene, die aber nicht abschätzig, sondern irgendwie mitfühlend erzählt wird.
Wie auch die Geschichte von Jens und Aischa, die ein Ende nehmen wird, bevor sie richtig beginnen konnte. «Gleich kann man die Lichter der Trabanten sehen», sagt er einmal zu ihr, als sie gerade in den Sonnenuntergang rauchen. Er meint damit die Hochhäuser in der Umgebung.
Trabanten-Städte sind Großwohnsiedlungen – in der Astrologie aber beschreiben Trabanten Himmelskörper, die einen Planeten umkreisen. Ganz nahe kommen sie ihrem Anziehungsobjekt nie. Jens und den anderen Figuren ist in «Die stillen Trabanten» ein ähnliches Schicksal beschieden.
Die stillen Trabanten, Deutschland 2022, 120 Minuten, FSK ab 12, von Thomas Stuber, nach Kurzgeschichten von Clemens Meyer, mit Martina Gedeck, Nastassja Kinski,
Charly Hübner, Irina Starshenbaum, Peter Kurth,
Albrecht Schuch, Lilith Stangenberg, Adel Bencherif, Andreas Döhler