Das Amsterdamer Rijksmuseum zeigt die größte Vermeer-Ausstellung aller Zeiten. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Peter Dejong/AP/dpa)

Das Mädchen trägt einen exotischen blauen Turban. Die großen Augen schauen fragend, der Mund schimmert feucht, am Ohr hängt eine matt glänzende Perle. Das «Mädchen mit dem Perlenohrring» (entstanden 1664-1667) bezaubert weltweit Millionen. Eine rätselhafte Schönheit.

Die Bilder des holländischen Malers Johannes Vermeer (1632-1675) sind gemalte Poesie. Er zieht den Betrachter in den Bann mit Farben, Licht und Harmonie. «Vermeer entführt uns in eine in sich gekehrte stille Welt», sagt der Direktor des Amsterdamer Rijksmuseums, Taco Dibbits.

Wenn man dem Geheimnis auf die Spur kommen will, dann sollte man es jetzt tun. Das Rijksmuseum zeigt von Freitag an bis zum 4. Juni die bisher größte Vermeer-Ausstellung. 28 der noch bekannten 37 Werke sind zu sehen. Das gab es noch nie. «Es ist jetzt oder nie», sagt Dibbits. Denn dass es überhaupt gelang, so viele der kostbaren Bilder zusammenzubringen aus sieben Ländern, grenzt an ein Wunder.

Die «Sphinx von Delft» soll entschlüsselt werden

«Näher zu Vermeer» ist das Motto der Ausstellung. Der Betrachter soll dem Werk und Meister so nahe wie nie zuvor kommen. Im Vorfeld wurden Bilder untersucht, viele neue Erkenntnisse auch über den Maler selbst wurden zusammengetragen – die «Sphinx von Delft» wird er genannt. Denn man weiß nur wenig über ihn. Ja, noch nicht einmal, wie er aussah.

Vermeer lebte in der reichen Porzellanstadt Delft südlich von Den Haag, Anfang des 17. Jahrhunderts ein lebendiges Zentrum der Malerei. Rund um den alten Marktplatz spielte sich sein Leben ab. Er ließ sich zum Meistermaler ausbilden und stieg durch seine Heirat mit der wohlhabenden Katholikin Catharina Bolnes sozial auf.

Jahrelang lief alles fantastisch. Seine Bilder kamen an, und er hatte auch mit seinem Kunsthandel Erfolg. Dabei hatte Vermeer anders als seine Kollegen wie etwa Rembrandt kein großes Oeuvre. «Höchstens zwei Bilder malte er im Jahr», sagt Gregor Weber, Chef Bildende Kunst des Museums und einer der Kuratoren der Ausstellung. Vermeer war aber kein «Tüftler, der ein halbes Jahr an einem Bild gemalt hat», sagt Weber. Er habe «vier Monate nachgedacht und dann einen Monat gemalt».

Die neuen Untersuchungen ergaben auch, wie Vermeer an den Bildern feilte. Beim «Milchmädchen» (1658-1659) etwa übermalte er ein Regal im Hintergrund, es lenkte zu sehr ab. Jetzt erscheint die Szene wie ein Stillleben. Im Zentrum steht das Mädchen, das tief in sich versunken Milch aus einem Krug in eine Schale gießt. Das intensive Blau der Schürze zieht den Betrachter in seinen Bann und lässt ihn nicht mehr los.

Intime, stille Momente mit jungen Frauen

Vermeer malt vorwiegend Alltagsszenen in Innenräumen. Die Attribute weisen auf Wohlstand und Bildung hin: Gläser, kostbare Teppiche, Perlen. Vermutlich lebte er selbst so. Obwohl es im Hause Vermeer kaum ruhig zugegangen sein kann. Der Maler und seine Frau hatten schließlich 14 Kinder.

Vermeer zeigt intime stille Momente mit jungen Frauen. Sie haben etwas in der Hand. Eine Kette, ein Instrument, einen Brief. Es sind elegante, sinnliche Szenen. Vermeer macht aus dem Betrachter einen Voyeur, der halb versteckt hinter einem Vorhang etwas beobachtet, was gar nicht für seine Augen bestimmt ist. Und der Maler scheint eine Geschichte zu erzählen. Nur welche? Wer unterbricht da die Musikstunde? Was steht in dem Liebesbrief?

«Vermeer war fasziniert von der Spannung zwischen der Außenwelt und der Welt des Bildes», sagt Konservator Pieter Roelofs. Fenster, Briefe, Landkarten oder Bilder sind für den Maler Verbindungen zu der Welt draußen.

Nur selten malt er auch tatsächlich diese Außenwelt wie «Ansicht von Delft» (1660-1661) – doch auch sie strahlt eine meditative Ruhe aus. Träge schaukelt ein Kahn im Hafen, das Wasser ist spiegelglatt. Die roten Dachziegel glänzen wie nach einem Regenschauer. Kirchtürme strahlen im Morgenlicht. Für den französischen Romanautor Marcel Proust war dies das schönste Bild der Welt.

1672 kam das Unglück. Die niederländische Republik wurde von Feinden überfallen, die Wirtschaft brach zusammen. Vermeers Kunsthandel lief nicht mehr, und auch seine eigenen Bilder konnte er nicht verkaufen. 1675 starb er nach kurzer Krankheit, nur 43 Jahre alt und mittellos. Er wurde Opfer von «Verfall und Dekadenz», klagte später seine Witwe.

Vermeer wird erst Ende des 19. Jahrhunderts neu entdeckt. Seine Farben und der meisterliche Umgang mit Licht, Schatten und Perspektive verschaffen ihm weltweite Bewunderung. «Er war ein meisterhafter Beobachter der Wirklichkeit», sagt Weber.

Vermeers Gemälde sind nicht geeignet für flüchtige Blicke. Im Rijksmuseum hängen die Bilder daher großzügig verteilt in elegant dunkelblau dekorierten Sälen. Besucher sollen Zeit und Raum haben und sich nicht vor den oft kleinformatigen Meisterwerken drängen müssen. Sonst kann man ja auch kaum die kleinen Geheimnisse entdecken. Die Perle zum Beispiel am Ohr des Mädchens etwa? Sie schwebt.

Von Annette Birschel,dpa

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