Die Ausgrabungsleiterin Juliette Brangé auf den Grundmauern der ehemaligen Schmiede des NS-Konzentrationslagers Natzwiller-Struthof. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Philipp von Ditfurth/dpa)

In der Schmiede des ehemaligen Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof wachsen mittlerweile Birken, von den Mauern stehen zum Großteil nur noch die Fundamente, der Boden ist fast überall mit Gras bedeckt.

Und doch verbergen sich hier und im Rest des früheren Lagers Erkenntnisse über den alltäglichen Terror, dem die Gefangenen einst ausgesetzt waren.

Das hoffen zumindest Archäologinnen und Archäologen, die in diesem Sommer hier, mitten in den elsässischen Vogesen, Grabungen anstellen.

Offene Fragen

Die Leitung dieser Operation hat Juliette Brangé, Master in Archäologie, gerade einmal 22 Jahre alt. Die Architektur einiger früherer Gebäude habe man schon verstanden, doch viele Fragen seien noch offen: Was genau geschah in dem nahe gelegenen Steinbruch, in dem die Gefangenen schuften mussten? Wozu dienten die Tunnel, die sie in den Berg graben mussten? Und welche Arbeiten mussten sie in der Schmiede verrichten?

Das KZ Natzweiler-Struthof bestand zwischen 1941 und 1944. In dieser Zeit kamen nach Angaben der heutigen Gedenkstätte rund 52.000 Gefangenen hier an – aus ganz Europa. Es waren größtenteils politische Deportierte, aber auch Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma sowie männliche Homosexuelle. Der Großteil von ihnen arbeitete im zugehörigen Steinbruch, viele kamen wegen der unmenschlich harten Arbeit und der schlechten Lebensbedingungen im Lager ums Leben.

Zwischen Lagerhalle und Schmiede

Derzeit sind Brangé und 18 Freiwillige mit Grabungen auf einem Streifen zwischen einer alten Lagerhalle und der Schmiede beschäftigt. Hier haben sie schon Überreste eines Teerdachs und einer von den Gefangenen angelegten Straße gefunden. In der Schmiede entdeckten sie den Namen Ivan, den jemand in einen Steinsockel geritzt hat. Und in den Büroräumen unter der Schmiede lässt sich sogar noch erahnen, wo einst Schreibtische und Regale standen, denn die Wandfarbe wurde außen herum gestrichen.

Doch wozu überhaupt Grabungen, wenn es doch noch Archive mit Dokumenten aus der NS-Zeit und Zeitzeugenberichte gibt? Und überhaupt: Ist das zeitlich nicht alles noch viel zu nah, um für die Archäologie interessant zu sein? Claudia Theune, Archäologie-Professorin an der Uni Wien mit Schwerpunkt auf NS-Zwangslager, widerspricht da. «Die Archäologie ist sehr gut, wenn es um das alltägliche Leben geht, auch unter extremen Bedingungen», sagt sie. «Die Funde geben uns Auskunft für Überlebensstrategien. Darüber berichten in der Regel schriftliche Dokumente wenig. Und auch Zeitzeugen berichten häufig andere Dinge als den Tagesablauf, den alltäglichen Terror.»

Erste Grabungen in ehemaligen NS-Zwangslagern gab es in den 1990er Jahren in Deutschland. Mittlerweile forschen Archäologinnen und Archäologen nahezu europaweit zu diesem Thema, wie Theune sagt. Sie interessieren sich etwa für die Struktur der Gebäude, für die umliegende Infrastruktur, für die Einsatzorte der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen – aber natürlich auch für die persönlichen Gegenstände der Gefangenen.

Besonders bedeutsam für sie als Forscherin seien Objekte, die den Überlebenswillen der Inhaftierten zeigten, sagt Theune. «Unter anderem haben wir selbstgemachte Schuhe gefunden.» Diese seien aus mehreren Lagen Reifenresten zusammengenagelt worden, um die Füße wenigstens ein bisschen zu schützen. Auch hätten sich Insassen selbst Löffel hergestellt, um überhaupt Suppe essen zu können. Und – wohl um ihre Identität nicht ganz zu verlieren – hätten sie Tassen oder Schalen mit ihren Initialen oder ihren Namen versehen. Im KZ Sachsenhausen habe sie ein kleines Holzherz gefunden – «eine Erinnerung, die für wenige Sekunden ein angenehmes Gefühl auslöst? Das ist alles wichtig zum Überleben», sagt Theune.

Von Violetta Heise, dpa

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