Ein Wasserstoffnetz für Deutschland: Noch viele Fragen offen
Eine Wasserstofferzeugungsanlage im bayerischen Wunsiedel. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Nicolas Armer/dpa)

Auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 soll Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen. Doch wie kommt das vorzugsweise mit Grünstrom hergestellte Gas dorthin, wo es gebraucht wird? Vor allem über ein deutschlandweites Wasserstoffnetz mit europäischer Anbindung sind sich Politik und Wirtschaft einig.

Das erste Problem: Abgesehen von zwei regionalen Netzen gibt es solch ein bundesweites Netz noch nicht. Damit es schnell eingerichtet werden kann und nicht so teuer wird, sollen neben neuen Pipelines auch bestehende Erdgasleitungen umgerüstet werden – vor allem auf der Langstrecke.

Unter anderem um Wasserstoffimporte aus Norwegen auf den Weg zu bringen, reist Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an diesem Mittwoch in das skandinavische Land. Beide Seiten wollen eine gemeinsame Erklärung unterzeichnen, in der sie das Ziel bekräftigen, bis 2030 Infrastruktur zum Export von Wasserstoff aus Norwegen nach Deutschland zu schaffen.

Programm soll 15 Infrastruktur-Projekte fördern

Es gibt bereits Pläne für den Aufbau eines Wasserstoffnetzes. Ein erstes überregionales Netz soll im Rahmen eines europäischen Förderprogramms entstehen. In Deutschland sollen 62 Wasserstoff-Projekte jeweils als «Important Project of Common European Interest» (IPCEI) eine Förderung erhalten. Bei 15 von ihnen geht es um die Infrastruktur einschließlich Speicher.

Nach Angaben der Erdgas-Fernleitungsnetzbetreiber soll das erste Netz von der niederländischen Grenze über Hamburg und Salzgitter, die Industrieregion Halle/Leipzig und über Berlin bis nach Rostock reichen. Hinzukommen sollen grenzüberschreitende regionale Projekte in Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Zusammengenommen sollen die ersten Teilnetze laut Bundeswirtschaftsministerium eine Länge von 1800 Kilometern haben. Sie sollen die wichtigsten Erzeuger und Abnehmer untereinander und mit den Nachbarstaaten verbinden.

Projekt «Get H2 Nukleus» soll 2024 starten

Einige IPCEI-Vorhaben sind auch Bestandteil des Projekts «Get H2 Nukleus», hinter dem die Unternehmen BP, Evonik, Nowega, OGE und RWE stehen. Bei dem Projekt geht es um die Erzeugung von grünem Wasserstoff und die Abnahme durch Industrie in Niedersachsen und NRW. Das rund 130 Kilometer lange Netz soll 2024 in einem ersten Schritt von Lingen im Emsland bis Gelsenkirchen an den Start gehen und anschließend ausgebaut werden – dann zusammen mit zahlreichen anderen Unternehmen.

Frank Heunemann, Geschäftsführer des Netzbetreibers Nowega und Koordinator der Initiative «Get H2», hofft, dass für das Nukleus-Projekt die IPCEI-Freigaben der EU-Kommission und die nationalen Förderbescheide bis Ostern 2023 vorliegen. «Der gesicherte, schnelle Aufbau des Wasserstoffnetzes ist eine entscheidende Planungsgrundlage aller angeschlossenen industriellen Wasserstoffprojekte», sagt er. Nur mit einem sich schnell entwickelnden, leistungsfähigen Netz könne die Wasserstoffwirtschaft in Europa mit der Entwicklung in den USA noch Schritt halten.

«Flow»: Wasserstoff von der Ostsee bis in den Südwesten

Auch in anderen Teilen Deutschlands gibt es weitreichende Pläne. So wollen die drei Fernleitungsnetzbetreiber Gascade, Ontras und Terranets BW unter dem Projektnamen «Flow» ein Pipelinesystem für Wasserstoff von der Ostsee bis in den Südwesten Deutschlands aufbauen. In einem ersten Schritt sollen bis 2025 bestehende Erdgasleitungen so umgerüstet werden, dass Wasserstoff von Mecklenburg-Vorpommern bis Thüringen transportiert werden kann.

Bundesweit kommen die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) bis 2027 in einer Modellierung auf ein aus Teilnetzen bestehendes Wasserstoffnetz mit einer Gesamtlänge von rund 3000 Kilometern. Eine Modellierung für 2032 schätzt die Leitungslänge dann auf 7600 bis 8500 Kilometer. Zum Vergleich: Insgesamt betreiben die FNB derzeit rund 36.000 Kilometer Erdgasfernleitungen.

Nationale Wasserstoffstrategie wird fortgeschrieben

Auch für die Bundesregierung spielt das Thema Wasserstoff eine große Rolle. Hier kommt das zweite Problem ins Spiel: Wer soll solch ein Netz betreiben, damit alle es nutzen können und der Wettbewerb befördert wird? Bereits 2020 hatte das Wirtschaftsministerium eine «Nationale Wasserstoffstrategie» vorgelegt, die die Ampelkoalition fortschreiben will. Auch die künftigen Netze sind Thema der Strategie.

Ende November wurde ein Entwurf für die Fortschreibung aus dem Ministerium bekannt. «Für den Markthochlauf ist – neben der Verfügbarkeit von Wasserstoff – ein vorausschauender und zügiger Aufbau einer Terminal-, Netz- und Speicherinfrastruktur für Wasserstoff unerlässlich», heißt es darin. Dies umfasse vor allem ein nationales Wasserstoffnetz.

Netzgesellschaft mit staatlicher Beteiligung geplant

Eine noch zu gründende «Wasserstoffnetzgesellschaft mit staatlicher Beteiligung» soll dem Entwurf zufolge bei der Planung der Netze eine zentrale Rolle spielen. «Durch die staatliche Beteiligung (…) kann die Finanzierung der notwendigen Investitionen zu günstigen Finanzierungsbedingungen sichergestellt werden», heißt es.

Mittelfristig soll diese Gesellschaft die bisherigen Wasserstoffleitungen sowie umzunutzende Erdgasleitungen erwerben und für den weiteren Ausbau sorgen. Ein Konzept für die Gesellschaft wird entwickelt und soll der Branche bald vorgestellt werden. Der Entwurf sei in der Ressortabstimmung mehrerer Ministerien, hieß es Anfang Dezember aus dem Wirtschaftsministerium. Anschließend solle die Fortschreibung mit dem Nationalen Wasserstoffrat, einem Beratungsgremium der Bundesregierung, abgestimmt werden, sagte eine Sprecherin.

Kritische Stimmen aus Energiewirtschaft

Von dieser Netzgesellschaft hält die Gaswirtschaft nicht viel. «Insbesondere die Idee einer neuen, staatlichen Wasserstoffnetzgesellschaft wird sicher nicht zu einer Beschleunigung führen», sagt etwa Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbandes Zukunft Gas. «Hier sind die etablierten privatwirtschaftlichen Akteure sicher deutlich effizienter und schlagkräftiger aufgestellt, das heutige Erdgasnetz zügig in ein Wasserstoffnetz zu wandeln.»

Auch Katherina Reiche, die Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrats, sieht die Pläne für die Netzgesellschaft mit staatlicher Beteiligung kritisch. «Der Bund sollte weder Bau und Betrieb noch die Wartung eines Wasserstoffnetzes übernehmen», schrieb die Vorstandsvorsitzende des Energiedienstleisters Westenergie Anfang Dezember auf Linkedin. «Vielmehr soll er sich auf das Subsidiaritätsprinzip besinnen.» Der Bund müsse Anreize für den Ausbau der Infrastruktur setzen. «Nicht mehr, aber auch nicht weniger.»

Auch auf EU-Ebene wird intensiv über die Ausgestaltung der Gasmärkte debattiert. Bereits 2021 hatte die EU-Kommission einen Entwurf für eine neue Gasmarkt-Richtlinie vorgelegt. Er sieht vor, dass Wasserstoff-Netzbetreiber nicht gleichzeitig Versorger sein können. Dies würde unter anderem Stadtwerke betreffen, die als Versorger gleichzeitig häufig die Erdgas-Verteilnetze in den Kommunen betreiben. In der Gaswirtschaft wird unter anderem befürchtet, dass mit solch einer Regelung Investitionsanreize für den Aufbau von Wasserstoffnetzen wegfielen. Die Beratungen über die neue Richtlinie dauern an.

Von Helge Toben, dpa

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