Die britische Schauspielerin Vanessa Redgrave wird 85. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa)

Das Erfolgsrezept einer guten Schauspielerin ist laut Vanessa Redgrave simpel: Sie spielt nicht. Sie ist es einfach. «Das trifft auf jede gute Schauspielerin zu», sagte Redgrave vor kurzem dem «Guardian». Und damit auf sie.

Seit mehr als sechs Jahrzehnten fasziniert die gebürtige Londonerin das Publikum im Theater und im Kino. Vor ihrem 85. Geburtstag ist es etwas stiller um Redgrave geworden, die berühmt dafür ist, nicht nur auf der Bühne und vor der Kamera ihre Stimme zu erheben. Wohl nur vorübergehend.

Denn Redgrave, die seit 2012 als Erzählerin in der Serie «Call the Midwife – Ruf des Lebens» zu hören, aber nicht zu sehen ist, hat derzeit mehrere Filmprojekte in Arbeit, darunter das Drama «The Medusa», in dem sie neben Pierce Brosnan und Jesse Eisenberg zu sehen sein wird. Auch in den letzten Jahren stand sie regelmäßig vor der Kamera. Im Theater spielte sie zuletzt 2019 am Londoner The Young Vic Theater eine Rolle in «The Inheritance» («Das Vermächtnis»).

Zur Schauspielerin geboren

Redgrave stammt aus einer Schauspielerfamilie. Ihre Eltern waren Sir Michael Redgrave und Rachel Kempson. Als die kleine Vanessa am 30. Januar 1937 zur Welt kam, verkündete der legendäre Sir Laurence Olivier dem Publikum die Geburt während einer «Hamlet»-Vorstellung in London, in der ihr Vater mitwirkte. «Heute Abend ist eine große Schauspielerin geboren», sagte Olivier unter großem Applaus. Er sollte Recht behalten.

Nach ihrer Ausbildung wird sie in den 60er Jahren Mitglied der renommierten Royal Shakespeare Company und steht in den ersten Jahren hauptsächlich auf der Theaterbühne. Als Rosalind in Shakespeares «Wie es euch gefällt» macht die junge Redgrave auf sich aufmerksam. Der internationale Durchbruch im Kino gelingt der 1937 geborenen Britin durch Michelangelo Antonionis «Blow Up». Der Mystery-Thriller passte perfekt in die Swinging Sixties und gilt heute als Filmklassiker.

1977 erhält Redgrave den Oscar für ihre Nebenrolle im Drama «Julia», in dem sie an der Seite von Jane Fonda und Meryl Streep spielt. Fünf weitere Male ist sie während ihrer Karriere für einen Academy Award nominiert, zuletzt für «Wiedersehen in Howards End» (1992). 1980 erhält sie einen Emmy für das TV-Drama «Das Mädchenorchester von Auschwitz». Als Bühnendarstellerin bekommt sie 1984 den Olivier Award und 2003 einen Tony, zwei der wichtigsten Bühnen-Auszeichnungen.

Auch im Blockbuster-Kino mischte sie gelegentlich mit, unter anderem mit Tom Cruise in «Mission: Impossible» (1996) – als coole Waffenhändlerin Max – oder im Katastrophenfilm «Deep Impact» (1999).

Politisches Engagement

Daneben engagiert sich Redgrave als hartnäckige Menschenrechtlerin und Kriegsgegnerin. In den 70er Jahren protestiert sie gegen den Vietnamkrieg. Als Mitglied der Revolutionären Arbeiterpartei kandidiert sie für das britische Parlament, allerdings ohne Erfolg. 1995 wird sie von Unicef zur Goodwill-Botschafterin ernannt.

Eine Ehrung als Dame lehnt sie 1999 aus Protest gegen den damaligen britischen Premierminister Tony Blair ab, dessen Regierung für die Nominierung zuständig ist. «Ich habe nichts gegen die Königsfamilie», betont sie. «Aber ich konnte keine Ehrung von Mr. Blair akzeptieren, nachdem er unser Land und so viele Menschen auf Basis einer Lüge in den (Irak-)Krieg geführt hat.»

2004 gründet Redgrave mit ihrem Bruder Corin die Peace and Progress Party, die sich gegen den Irak-Krieg und für Menschenrechte einsetzt. Später verbindet sie Aktivismus direkt mit Film und präsentiert 2017 in Cannes einen Dokumentarfilm über syrische Flüchtlinge, «Sea Sorrow», bei dem sie erstmals selbst Regie führte.

Berichten zufolge lebt Redgrave trotz guter Gagen als Schauspielerin verhältnismäßig bescheiden in London. Einen Großteil ihres Geldes spendet sie demnach für politische und wohltätige Zwecke. Die Gage für den Film «Maria Stuart, Königin von Schottland», der ihr 1972 ebenfalls eine Oscar-Nominierung einbringt, nutzt sie, damit nahe ihrem damaligen Wohnhaus in London ein Kindergarten gebaut wird.

Private Schicksalsschläge

Aus Redgraves Ehe mit Tony Richardson, die von 1962 bis 1967 währt, gehen die Töchter Natasha und Joely hervor. Beide werden ebenfalls erfolgreiche Schauspielerinnen. Natasha, die ihren Kollegen Liam Neeson heiratet, kommt 2009 bei einem Skiunfall ums Leben. Nicht der einzige Schicksalsschlag für Redgrave. Innerhalb eines Jahres sterben ihr Bruder Corin und ihre Schwester Lynn an Krebs.

Nach der Trennung von Tony Richardson beginnt sie eine Romanze mit dem italienischen Westernstar Franco Nero («Django»). Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Carlo 1969, der heute als Drehbuchautor und Regisseur arbeitet, gehen die beiden getrennte Wege, doch die Zuneigung bleibt. Von 1971 bis 1986 ist Redgrave mit dem späteren James-Bond-Darsteller Timothy Dalton («Der Hauch des Todes») liiert. Danach kommt sie wieder mit Franco Nero zusammen. 2006 heiraten die beiden schließlich sogar und sind bis heute ein Paar.

Mit 78 erlebt Redgrave einen harten gesundheitlichen Rückschlag, als sie einen Herzinfarkt erleidet, von dem sie sich glücklicherweise erholt. «Als ich im Krankenhaus war, wollte ich sterben», sagt sie später dem «Daily Express». «Es war einfach zu anstrengend.» Ihre Tochter Joely habe ihr zu neuem Lebensmut verholfen.

Auszeichnung für ihr Lebenswerk

Beim Filmfest in Venedig wird Vanessa Redgrave 2018 mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sie sei «eine der besten Schauspielerinnen des modernen Kinos», lobt Festivaldirektor Alberto Barbera. «Sie ist ausgestattet mit natürlicher Eleganz, angeborener Verführungskraft und einem außerordentlichen Talent.»

Und neuerdings darf sie sich nun doch endlich Dame Vanessa Redgrave nennen. Bei den New Year Honours 2022 wurde sie für ihre Verdienste in der Schauspielerei gewürdigt und lehnte dieses Mal nicht ab. «Ich bin überrascht», sagte Dame Vanessa, «und dankbar, ein Teil dieser wundersamen Gruppe britischer Künstler zu werden, deren Arbeit mich und das Publikum auf der ganzen Welt inspiriert hat.»

Von Philip Dethlefs, dpa

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