Lange stand sie etwas im Schatten ihres Ehemannes Walter Jens, doch schließlich wurde Inge Jens mit Büchern über Thomas Mann und dessen Familie selbst zur Bestsellerautorin. Auch über die schwere Demenz ihres Mannes schrieb sie bewegend.
Mit 94 Jahren ist Inge Jens nun in Tübingen gestorben. Nach Angaben ihres Sohnes Christoph Jens schlief sie am Donnerstag friedlich ein. «Wir nehmen Abschied von einer großen Autorin, die mit ihren Büchern und Vorträgen das intellektuelle Leben der Bundesrepublik in vielfältiger Weise mit geprägt hat», hieß es in einem Nachruf des Rowohlt Verlags.
Kennerin der Familie Mann
Die Literaturwissenschaftlerin editierte die Tagebücher des Nobelpreisträgers Thomas Mann und erwarb sich Ansehen als literarische Kennerin der Familie Mann. Mit ihren Studien über die Geschichte der Weißen Rose und über die Familie Mann habe sie «wichtige Bausteine zur Erinnerungskultur der Deutschen geliefert», schrieb der Rowohlt Verlag.
Das Buch «Frau Thomas Mann» (2003), das sie gemeinsam mit ihrem Mann Walter (1923-2013) verfasste, wurde zum Bestseller. Auch die Biografie «Katias Mutter» (2005) über das Leben von Hedwig Pringsheim fand starke Beachtung, «weil es ein Kapitel der großen, untergegangenen jüdischen Kultur in Deutschland festhielt», so der Verlag. Zudem veröffentlichte Inge Jens gemeinsam mit ihrem Ehemann Bücher zur Tübinger Stadt- und Universitätsgeschichte.
In Tübingen lernten sie sich kennen
Geboren wurde sie am 11. Februar 1927 als Inge Puttfarcken in Hamburg. Als junge Frau kam sie zum Studium in die Universitätsstadt Tübingen, wo im selben Haus wie sie der etwas ältere Walter Jens in einer Dachkammer wohnte. Sie nahm Griechischunterricht bei ihm und heiratete ihn wenige Jahre später, 1951.
Gemeinsame Entspannung vom Wissenschaftsbetrieb fanden sie bei Sonntagsausflügen. So habe sie es genossen, etwa den oberschwäbischen Barock so nah vor der Tür zu haben, und sei mit dem Rad die Gegend abgefahren, sagte Inge Jens der dpa zu ihrem 90. Geburtstag.
Galionsfiguren der Friedensbewegung
Inge und Walter Jens waren ein großes Intellektuellen-Paar der Bundesrepublik. Zum wissenschaftlichen und publizistischen Engagement kam das zivilgesellschaftliche. Die beiden wurden in den 80er Jahren zu Galionsfiguren der Friedensbewegung.
1984 beteiligte sich Inge Jens an Sitzblockaden vor dem Atomwaffendepot Mutlangen, während des Golfkriegs 1990 versteckte das Paar desertierte US-Soldaten in seinem Haus und kam dafür wegen Beihilfe zur Fahnenflucht vor Gericht. «Zu Mutlangen würde ich auch heute noch stehen», sagt Inge Jens 2017.
Sie liebte Tübingen – und doch war sie im Mai 1989 froh, als ihr Mann nach seiner Emeritierung zum Präsident an der Akademie der Künste in Berlin gewählt wurde. Inge und Walter Jens genossen das Leben in der Hauptstadt. «Das hat uns zehn wundervolle Jahre beschert», sagte sie.
Als Walter Jens im Alter schwer an Demenz erkrankte, pflegte sie ihn und machte zugleich sein Schicksal ein Stück weit öffentlich, um zur Auseinandersetzung mit dieser Krankheit anzuregen. Ihre Autobiografie «Unvollständige Erinnerungen» (2009) und besonders der Bestseller «Langsames Entschwinden – Vom Leben mit einem Demenzkranken» (2016) legten laut Rowohlt Zeugnis ab von diesem schwierigen Weg. Einen weiteren Schicksalsschlag erlitt Inge Jens mit dem Tod ihres Sohnes Tilman Jens im Juli 2020.
«Sie war eine politisch engagierte Zeitgenossin und selbstbewusste Frau, die für viele Menschen zum Vorbild wurde. Nun ist sie für immer verstummt», hieß es im Nachruf des Rowohlt Verlags. «Ihre Bücher bleiben – als Dokumente eines Lebens, das auf unprätentiöse Weise dem Geist der Aufklärung und dem Frieden verpflichtet war.»