Die EU will sich trotz der schweren Enttäuschung über das jüngste US-Vorgehen in Sicherheitsfragen um engere transatlantische Wirtschaftskooperationen bemühen.
Nach Angaben aus dem EU-Ministerrat stimmten am Mittwoch alle 27 Mitgliedstaaten einer Erklärung für die erste Sitzung eines neuen europäisch-amerikanischen Handels- und Technologierates zu. Die Sitzung soll am späten Nachmittag europäischer Zeit in der US-Metropole Pittsburgh beginnen und den Startschuss für eine bessere Kooperation geben.
Von der anfänglichen Vorfreude auf das Spitzentreffen war zuletzt allerdings kaum mehr etwas zu spüren. Grund ist das europäische Entsetzen darüber, dass Washington in den vergangenen Monaten hinter dem Rücken der EU mit Großbritannien und Australien einen neuen Sicherheitspakt für den Indopazifik-Raum aushandelte. Insbesondere die Regierung in Paris ist außer sich, weil die Aukus genannte Allianz auch einen 56 Milliarden Euro schweren U-Boot-Vertrag Australiens mit Frankreichs platzen ließ.
Angesichts des Ärgers stellte Frankreich sogar in Frage, ob das Treffen in Pittsburgh überhaupt wie geplant stattfinden sollte. Dem Text für die Abschlusserklärung stimmte das Land am Mittwoch erst nach Korrekturen zu.
So wurde eine Vereinbarung gekippt, sich bereits im nächsten Frühjahr zur nächsten Sitzung des Rates zu treffen. Zudem erzwang Frankreich, einen positiv formulierten Satz zu gegenseitigen Abhängigkeiten bei der Produktion von Halbleitern zu ändern. Damit wollte es deutlich machen, dass die EU nach dem jüngsten Vertrauensbruch eine deutlich größere Unabhängigkeit vom Partner auf der anderen Seite des Atlantiks anstreben sollte.
Die derzeitigen Lieferengpässe bei Halbleitern stehen neben der Zusammenarbeit im Bereich der künstlichen Intelligenz als eines der Hauptthemen auf der Tagesordnung des Treffens. Laut dem Text für die Abschlusserklärung sollen die Lieferengpässe unter anderem durch eine stärkere Zusammenarbeit beseitigt werden. Konkret geht es dabei auch darum, die derzeitige Abhängigkeit von Produkten aus Asien und insbesondere aus China zu verringern. Die Knappheit von Halbleitern hat zuletzt unter anderem dazu geführt, dass zahlreiche Autohersteller nicht wie gewünscht produzieren konnten.
Der Handels- und Technologierat war im Juni bei einem EU-USA-Gipfel von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem US-Präsidenten Joe Biden ins Leben gerufen worden – auch um während der Amtszeit von Bidens Vorgänger Donald Trump entstandene Konflikte hinter sich zu lassen. Geplant ist zum Beispiel eine engere Zusammenarbeit bei Technologiestandards und eine engere Abstimmung im Vorgehen gegen unfaire Handelspraktiken von Staaten wie China. Für Unternehmen aus Deutschland und aus vielen anderen EU-Staaten ist der US-Markt noch immer einer der weltweit wichtigsten.
Deutsche Wirtschaftsvertreter appellierten deswegen an die Beteiligten, die Gespräche zu einem Erfolg zu führen. «Für deutsche Unternehmen ist der Abbau von Handelsstreitigkeiten, die Verhinderung neuer Konflikte sowie eine positive transatlantische Handelsagenda von großer Bedeutung», mahnte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Peter Adrian.
Vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau hieß es, der Handels- und Technologierat stelle eine «historische Chance» dar, wichtige Themen in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen endlich wieder gemeinsam anzugehen. Dazu gehöre auch die Abschaffung der von Bidens Vorgänger Trump verhängten Stahl- und Aluminiumzölle der USA und die Wiederherstellung eines funktionierenden Streitschlichtungsmechanismus bei der Welthandelsorganisation (WTO).
Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, forderte die USA zudem zu Fairness auf. «Aktuelle Vorschläge, die eine Förderung der Elektromobilität nur für in den USA hergestellte Fahrzeuge zulassen würden, widersprechen dem Geist des Freihandels und behindern den Hochlauf dieser wichtigen Zukunftstechnologie», kommentierte sie. BDI-Präsident Siegfried Russwurm sprach sich für eine Einbindung der deutschen Wirtschaft in die Arbeit des Rates aus. Die vier Spitzenverbände stünden bereit, ihren Beitrag für eine Stärkung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen zu leisten.
Für die USA werden zu dem ersten Treffen des Rates Außenminister Antony Blinken, Handelsministerin Gina Raimondo und die Handelsbeauftragte Katherine Tai erwartet. Für die EU sind die EU-Vizekommissionspräsidentin Margrethe Vestager und ihr Kollege Valdis Dombrovskis in die USA gereist. Beide hatten zuletzt bei den 27 EU-Mitgliedstaaten intensiv für die Gespräche geworben. Bei strategischen Allianzen gehe es darum, gemeinsame Ansätze zu gestalten und auch Schwierigkeiten zu überwinden, erklärten sie nach der Entscheidung, die französische Bitte auf Verschiebung des Treffens abzulehnen.
Zugleich räumte Dombrovskis ein, dass es nach der Enttäuschung über den Umgang mit der neuen Verteidigungsallianz Aukus nun einiges an Reparaturarbeiten zu erledigen gebe.