Das Rathaus in Esch-sur-Alzette wird bei der Eröffnung der Stadt als Kulturhauptstadt Europas farbenprächtig angestrahlt. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Harald Tittel/dpa)

Mit einem fulminanten Open-Air-Spektakel inklusive Raketenstart hat Luxemburgs zweitgrößte Stadt Esch ihr Programm als Europäische Kulturhauptstadt 2022 begonnen.

Rund 25.000 Gäste feierten am Samstagabend im historischen Zentrum von Esch und im hippen Universitätsviertel Esch-Belval – bei Live-Musik, DJs, Tanz, Lichtinstallationen, Performances und Projektionen.

Als Höhepunkt des Abends hatten sich alte Hochöfen auf dem einstigen Hüttenwerksgelände in Belval in eine multimediale Raketen-Startrampe verwandelt. Per Lichtshow und mit Projektionen wurde der Start ins All bei Dampf und Rauch inszeniert: Ab in den Orbit ging es aber dann nur virtuell. Zuvor war bereits das Rathaus zu einer «Raketenzentrale» geworden.

Früher Stahlindustrie, heute Kultur

Mit dem symbolträchtigen Auftakt ins Kulturjahr will sich Esch an der Alzette neu auf der kulturellen Landkarte positionieren. «Wir zeigen, dass eine von der Stahlindustrie geprägte Region auch Kultur kann», sagte der Bürgermeister der Stadt Esch und Präsident von Esch2022, Georges Mischo. Und «Region» meint mehr als Esch, reicht doch die gemeinsame industrielle Geschichte aus Eisenerz und Stahl weit über die 36.000-Einwohner-Stadt hinaus.

Deshalb hat Esch 18 weitere Gemeinden im Süden Luxemburgs und im angrenzenden Frankreich mit ins Boot geholt – mit insgesamt 200.000 Menschen aus 120 Nationen. Die Idee ist, dass diese Kommunen über Kulturprojekte in Bewegung kommen. «Wir wollen dazu beitragen, der Stadt und der Region mit Esch2022 eine neue Identität zu geben», sagte die Generaldirektorin von Esch2022, Nancy Braun.

Auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine war präsent. «Unsere Gedanken sind bei den Ukrainern», sagte Mischo. Kulturministerin Sam Tanson betonte, das, was derzeit in der Ukraine geschehe, sei «unerträglich». «Wir feiern den Frieden. Wir feiern Meinungsfreiheit. Wir feiern das Grundrecht auf Kultur. Und wir vergessen die Bürger der Ukraine dabei nicht. Wir denken an sie, wir leiden mit ihnen.»

Braun sagte, die Weltraumrakete, die gestartet sei, gehe auf ein Projekt von Kindern zurück, die ihre Wünsche für die Zukunft gemalt hätten. «Es ist eine symbolische Friedensrakete.» Per Videobotschaft hatte sich der deutsche Astronaut Matthias Maurer von der Internationalen Raumstation (ISS) gemeldet: «Heute ist der Start von Eurer Rakete. Ich werde am Fenster stehen, um diesen großartigen Moment nicht zu verpassen», sagte er.

Unter dem Motto «Remix Culture» sind in diesem Jahr rund 160 Projekte mit mehr als 2000 Events in den Kommunen geplant: Theater, Festivals, Ausstellungen, Tanz, Performances, Workshops und digitale Kunst. Es geht um Vergangenheit, um kulturelle Vielfalt – und Visionen für die Zukunft. Dafür stehe auch die Rakete, sagte ein Sprecher von Esch2022 mit Blick auf Luxemburgs Engagement bei der Nutzung von Weltraumressourcen.

Durch das «Remixen» in verschiedenen Kategorien (Kunst, Europa, Natur, Identität) soll Neues entstehen, sagte Braun zum Programm. «In der Region wird immer gemixt, um einen Schritt voranzukommen.» Auch kulturell: Im Süden von Luxemburg lag der Ursprung der Einwanderung – als Tausende Arbeiter in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Abbau von Eisenerz in die Region der eisenhaltigen roten Erde kamen.

Heute sind fast die Hälfte der knapp 650.000 Einwohner Luxemburgs Nicht-Luxemburger. Multikulti auch in Esch: 38 Prozent der Escher sind Portugiesen, es werden viele Sprachen gesprochen. Und nirgendwo sieht man den Wandel von der industriellen Vergangenheit ins digitale Zeitalter besser als in Esch-Belval: Auf dem einstigen Hüttengelände, wo bis 1997 Stahl gekocht wurde, sind heute Universität, Wissenschaft und Kultur zu Hause.

Esch2022 hat sich die Beteiligung der Bevölkerung auf die Fahnen geschrieben. So gab es auch beim «Remix Opening» kleine Aufgaben zum Mitmachen. «Es ist so eine Art Riesen-Schnitzeljagd, die stattfindet.» Plan war, dass die Leute sich beteiligten, um genug «Power» zum Abheben der Rakete zu haben. «Die Kernbotschaft ist: Wenn wir alle gemeinsam an etwas arbeiten, können wir sogar eine Rakete starten lassen», sagte der Sprecher.

Nun beginnen in Esch-Belval auf dem früheren Stahlgelände die ersten Ausstellungen. In einer sanierten Möllerei wird es Medienkunst geben: Da steht «Hacking Identity – Dancing Diversity» vom Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) auf dem Programm. Und in der alten Massenoire, wo früher Stopfmasse entstand, wird die Industriegeschichte beleuchtet.

1995 und 2007 trug Luxemburgs Hauptstadt den Titel Kulturhauptstadt Europas. In diesem Jahr sind zudem Novi Sad in Serbien und Kaunas in Litauen Kulturhauptstädte Europas. Novi Sad hatte das Festjahr am 13. Januar eröffnet. Kaunas war am 22. Januar gestartet.

Von Birgit Reichert (Text) und Harald Tittel (Foto), dpa

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