Die deutschen Bauern haben eine etwas größere Getreideernte eingefahren, sehen aber weiter eine angespannte Lage und hohe Preise in den Supermärkten. Nach vorläufigen Einschätzungen holten die Mähdrescher 43 Millionen Tonnen Getreide von den Feldern und damit zwei Prozent mehr als im Vorjahr, wie der Bauernverband am Dienstag mitteilte. Die Erntemenge lag demnach aber erneut unter dem Schnitt der vergangenen Jahre. Vor allem die Mitte Deutschlands trafen Dürreschäden wegen langer Trockenheit, teils wird Gras als Tierfutter knapp. Hohe Kosten drücken bei vielen Höfen aufs Geschäft.
Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte in Berlin, die Getreideernte falle nun quantitativ etwas besser aus als im Vorjahr. Die Qualitäten speziell bei Weizen ließen aber vielfach zu wünschen übrig. Dabei seien regionale Unterschiede noch stärker als sonst. «Die in vielen Regionen des Landes lang anhaltende Trockenheit zeigt erneut, dass die Landwirte die Auswirkungen des Klimawandels sehr direkt zu spüren bekommen.» Am stärksten von Dürre betroffen sei nun Sachsen-Anhalt mit der Börde als wichtiger Kornkammer. Besser sei die Lage dagegen dank Regenfällen von Nordrhein-Westfalen über Niedersachsen und Schleswig-Holstein bis Mecklenburg-Vorpommern sowie am Alpenrand.
Insgesamt fiel die Ernte 2022 unterdurchschnittlich aus, wie es nach Daten der Landesbauernverbände hieß. Konkret dürften bei Winterweizen als wichtigster Getreideart 21,8 Millionen Tonnen hereingekommen sein – nach 21 Millionen Tonnen bei der Ernte 2021. Auch bei Winterraps als wichtigster Ölpflanze lag die Menge mit vier Millionen Tonnen über dem Vorjahresergebnis. Allerdings litten in trockenen Gebieten Mais, Kartoffeln und Zuckerrüben derzeit stark, so dass regional mit erheblichen Ertragseinbußen gerechnet werden müsse. Fehlender Regen treffe auch Tierhalter, die sonst Wiesen für Futter mehrmals mähen können. Teils müssten sie nun aber schon Wintervorräte anbrechen.
Zumindest war die Ernte nicht wie im Vorjahr ein «Wettlauf mit dem nächsten Schauer». Vielerorts waren die Mähdrescher sogar bis zu drei Wochen früher fertig als sonst. Wirtschaftlich ist die Lage aber weiter fragil, wie der Verband erläuterte. In der Tendenz lägen die Preise, die Bauern für Getreide erzielen können, mit gut 300 Euro pro Tonne gerade über dem Vorjahresniveau – wenn auch nicht mehr bei über 400 Euro pro Tonne wie nach Beginn des russischen Ukraine-Krieges. Zugleich schwankten die Preise an internationalen Märkten extrem.
Bei Ökoprodukten eine «gewisse Kaufzurückhaltung»
Für Landwirte ist es denn auch schwierig zu kalkulieren, wann sie zumindest Teile der Ernte zu abgesicherten Preisen vorab verkaufen. Manche Höfe machten solche Verträge im Herbst zu niedrigeren Preisen, wie Rukwied deutlich machte. Ähnlich stark schwankten Einkaufspreise für Düngemittel, für die zum Beispiel im Herbst 350 Euro pro Tonne fällig gewesen seien und Anfang März schon 920 Euro. Überhaupt gehen Kosten auch für Energie mit Gas und Sprit weiter hoch.
Die Bauern bräuchten stabile, tendenziell auch höhere Erlöse, um weiter wirtschaften zu können. «Die Verbraucher müssen sich darauf einstellen, dass das Preisniveau in der Tendenz steigen wird», sagte der Bauernpräsident. Dass Kunden wegen der hohen Inflation mehr auf den Preis achten, sei schon zu sehen. Bei Ökoprodukten, die meist etwas teurer sind, gibt es demnach eine «gewisse Kaufzurückhaltung». Auch bei Hofläden, ob bio oder konventionell, sei dies zu spüren.
Mit einer schnellen Entspannung der Lage rechnet der Bauernverband nicht. Und die geplante Lockerung bestimmter EU-Umweltvorgaben, dass auf Feldern ausnahmsweise direkt in Folge Weizen auf Weizen angebaut werden darf, lasse keinen exorbitanten Produktionsanstieg erwarten. Bei heimischen Äpfeln sei immerhin eine leicht überdurchschnittliche Ernte in Sicht – und bei Wein ein ausgezeichneter Jahrgang 2022.