Der Digital Service Act ist Teil eines Digital-Pakets, das die EU-Kommission Ende 2020 vorgeschlagen hat. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sebastian Gollnow/dpa)

Hass, Hetze, Desinformation: Nicht erst seit der Pandemie ist das Internet vielfach ein ungemütlicher Ort. Die Europäische Union steuert gegen.

Nach einem letzten Verhandlungsmarathon haben sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments am frühen Samstagmorgen auf ein Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) geeinigt, das gesellschaftliche Probleme im Netz angehen soll. Dazu gehören der Verkauf gefälschter Waren und die Nutzung sensibler Daten wie religiöse Überzeugungen und politische Ansichten für zielgerichtete Werbung. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Was ist das Gesetz über digitale Dienste?

Der DSA ist Teil eines Digital-Pakets, das die EU-Kommission Ende 2020 vorgeschlagen hat. Ziel waren verbindliche Regeln für das Internet. EU-Kommissionsvize Margrethe Vestager verglich die Lage mit der ersten Ampel, die Ordnung auf die Straßen gebracht habe.

Das Gesetz verfolgt ein grundlegendes Prinzip: Was offline illegal ist, soll es auch online sein. Das gilt etwa für Hassrede und Terrorpropaganda, aber auch für gefälschte Produkte, die auf Online-Marktplätzen verkauft werden. Die Plattformen sollen mehr Verantwortung dafür übernehmen, was bei ihnen passiert.

Der zweite Teil des Digital-Pakets war das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA), bei dem es bereits Ende März eine Einigung gab. Der DMA soll die Marktmacht von Tech-Giganten wie Google und Facebook mit strengeren Regeln beschränken.

Wer muss die neuen Regeln befolgen?

Grundsätzlich sollen die neuen Regeln für digitale Dienste gelten, die Vermittler sind und Verbrauchern Zugang beispielsweise zu Waren und Inhalten ermöglichen. Das können Online-Marktplätze wie der von Amazon sein, Soziale Medien wie Facebook, Plattformen zum Teilen von Inhalten wie Youtube und Suchmaschinen wie Google. Große Dienste müssen mehr Regeln befolgen als kleine. Für kleine Unternehmen mit weniger als 45 Millionen aktiven Nutzern im Monat wird es Ausnahmen geben.

Was schreibt der DSA genau vor?

Grundsätzlich gilt, dass die Unternehmen illegale Inhalte wie Hassrede, Gewaltaufrufe oder Terrorpropaganda zügig entfernen müssen, wenn sie darüber informiert werden. Nutzer sollen derlei Inhalte einfach melden können. Auch sollen sie die Möglichkeit haben, die Lösch-Entscheidungen der Plattformen anzufechten und Entschädigung zu fordern.

Ein Unterschied soll gemacht werden zwischen illegalen Inhalten und solchen, die zwar schädlich sind, aber unter die Meinungsfreiheit fallen. Das könnten etwa Lügen über die Wirksamkeit von Impfstoffen sein, die die Gesundheit von Menschen gefährden. Oder Falschbehauptungen zu Essstörungen, die etwa junge Frauen in die Magersucht treiben.

Marktplätze werden dazu verpflichtet, Anbieter zu überprüfen, damit weniger gefälschte Produkte im Netz landen. Manipulative «Dark Patterns», die Verbraucher zur Kaufentscheidung drängen, werden verboten. Auch sonst werden derlei irreführende Benutzeroberflächen – etwa bei der Cookie-Auswahl – weitgehend verboten. Sensible Daten wie religiöse Überzeugungen, sexuelle Vorlieben oder politische Ansichten dürfen nur begrenzt für gezielte Werbung genutzt werden. Minderjährige sollen grundsätzlich keine personalisierte Werbung mehr bekommen. Soziale Netzwerke müssen ihre Empfehlungsalgorithmen transparenter machen und den Nutzern Wahlmöglichkeiten bieten. Bei Verstößen drohen Strafen in Höhe von sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.

Neu ist zudem ein Krisenmechanismus, den die EU-Kommission wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine nachträglich vorgeschlagen hatte. Dieser soll in Fällen wie Krieg, Pandemie oder Terror die Auswirkungen von Manipulation im Netz begrenzen. Die EU-Kommission kann den Mechanismus auf Empfehlung des Gremiums der nationalen DSA-Koordinatoren auslösen und dann über Maßnahmen der sehr großen Dienste entscheiden.

Was gilt für besonders große Dienste?

Als besonders groß gelten Plattformen und Suchmaschinen mit mehr als 45 Millionen Nutzern. Mit Blick auf schädliche Inhalte müssen sie künftig einmal jährlich eine Risikobewertung vorlegen und Gegenmaßnahmen vorschlagen. Diese Berichte werden von der EU-Kommission und Außenstehenden geprüft. Außerdem sollen Forscher Zugang zu Daten bekommen, die etwa bestimmen, was Nutzer in ihrem Newsfeed als Nächstes sehen. «Dies wird sich auf aufmerksamkeitsbasiertes Ranking auswirken, das den Konzernen mit Desinformation, Hass und Hetze die Taschen vollmacht», sagte die Grünen-Abgeordnete Alexandra Geese nach der Einigung. Erstmals habe man eine unabhängige gesellschaftliche Kontrolle der Plattformen.

Wie wirkt sich das auf das deutsche NetzDG aus?

Deutschland war – zum Missfallen der EU-Kommission – schon vor Jahren mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zur Bekämpfung von Straftaten und Hassrede im Internet vorgeprescht. Das NetzDG dürfte durch den DSA hinfällig werden – auch, wenn das EU-Gesetz etwa bei den Löschfristen hinter dem deutschen Gesetz zurückbleibt. Insgesamt hat der DSA jedoch einen deutlich größeren Geltungsbereich. Das zuständige Bundesverkehrsministerium teilte am Samstag mit, dass ein Digitale-Dienste-Gesetz erarbeitet werden solle und die bestehenden nationalen Gesetze umfänglich überarbeitet werden müssten.

Wie fallen die Reaktionen aus?

Die Einigung wurde überwiegend positiv aufgenommen. Claudia Prettner von Amnesty International sprach von einem «Wendepunkt in der Geschichte der Internetregulierung». «Der DSA führt zu einer Online-Welt, in der unsere Menschenrechte besser geachtet werden, indem die unkontrollierte Macht von Big Tech wirksam gebremst wird.» Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, sagte, der DSA sei für Überlebende des Holocaust ein «überaus deutliches Hoffnungszeichen», das sich jedoch in der Realität beweisen müsse.

Wie geht es jetzt weiter?

Das Europaparlament und die EU-Staaten müssen den Deal vom Samstag noch einmal formell bestätigen. Nach Inkrafttreten ist noch eine Übergangsfrist von 15 Monaten. Für die sehr großen Plattformen und Suchmaschinen sollen die Regeln nach Angaben der EU-Kommission bereits vier Monate nachdem sie designiert worden sind gelten.

Von Michel Winde, dpa

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