Steuern senken, ärmeren Haushalten Geld zahlen, in erneuerbare Energien investieren: Diese und weitere Mittel können EU-Länder nach Ansicht der Europäischen Kommission gegen die rasant steigenden Energiepreise anwenden.
Energiekommissarin Kadri Simson stellte am Mittwoch eine sogenannte «Toolbox» mit Werkzeugen vor, die die Staaten anwenden können, ohne gegen die europäischen Wettbewerbsregeln zu verstoßen. Darunter sind Notfallmaßnahmen, aber auch Vorschläge für mittelfristige Reformen. Um folgende Maßnahmen geht es konkret:
Gezielte Unterstützung von Haushalten und Unternehmen
EU-Länder können Haushalten, die höhere Strom- und Heizkosten nicht alleine stemmen können, durch direkte Zahlungen unterstützen. Dies könne zum Beispiel durch die Gelder aus dem Emissionshandel finanziert werden, schrieb die Kommission in ihrer Mitteilung. Kleine Unternehmen könnten Subventionen bekommen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) begrüßte diesen Vorschlag, da die Preise des Marktes dadurch nicht verzerrt würden, Betroffene jedoch Unterstützung bekämen. Frankreich hat solche Maßnahmen unter anderem bereits ergriffen und will ärmeren Haushalten je 100 Euro zahlen.
Auch Steuererleichterungen könnten Verbraucher entlasten, so die Kommission. In der Regel setzen sich Stromrechnungen nicht nur aus dem Großhandelspreis für Elektrizität zusammen, sondern auch aus Steuern, Umlagen und Netzentgelten, die erlassen werden könnten. Das IW nennt diese Maßnahme den «wohl wirkungsvollsten Pfeil im EU-Köcher». In Italien übernimmt der Staat bereits bestimmte Netzentgelte. Deutschland hat beschlossen, die EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms zu senken. Eine zusätzliche Senkung der Stromsteuer auf das europäische Minimum würde Strom laut dem IW um ein Drittel günstiger machen – damit könne eine vierköpfige Familie rund 430 Euro im Jahr sparen.
Die Kommission betonte, dass die Mittel nur vorübergehend angewendet werden sollen. Die Brüsseler Behörde hält den derzeitigen Anstieg der Energiepreise für temporär, da er vor allem von einer hohen Nachfrage während der Erholung von der Pandemie getrieben wird. Die Situation werde sich demnach spätestens im Frühling stabilisieren.
Mehr Zusammenarbeit auf dem Gasmarkt
Als mittelfristige Entlastung will die EU-Kommission eine gemeinsame Lagerung von strategischen Gasreserven prüfen. «Heute sind Gaslager nicht überall in der EU verfügbar und ein integrierterer europäischer Ansatz könnte potenziell Kosten optimieren und gegen Preisschwankungen schützen», sagte Simson. Außerdem erwägt die Kommission gemeinsame Gaseinkäufe zu organisieren, um die Verhandlungsposition von Staaten zu verbessern. Spanien, Frankreich, Griechenland, Tschechien und Rumänien hatten dies in einem Papier vergangene Woche gefordert. Wie genau solch ein Programm aussehen könnte, ist jedoch noch unklar. Freiwillige gemeinsame Einkäufe könnten Teil eines Gesetzesvorschlags für eine Reform des Energie- und Gasmarktes im Dezember werden, sagte Simson.
Hintergrund ist, dass die Gasreserven der EU-Länder nach dem harten vergangenen Winter ungewöhnlich niedrig sind. Außerdem ist die EU stark von Gasimporten aus dem Ausland abhängig: Rund 90 Prozent des Erdgases in der EU wird der Kommission zufolge importiert. In dem Kontext untersucht die Kommission laut Simson auch mögliche Manipulation und Spekulation am Gasmarkt, unter anderem auch Vorwürfe gegen den russischen Lieferanten Gazprom.
Mögliche Reform des europäischen Strommarktes
Die Kommission will sich den Aufbau des europäischen Strommarktes genauer anschauen. Sie habe eine Studie bei der EU-Energieagentur ACER in Auftrag gegeben, die erste Ergebnisse Mitte November liefern solle, sagte Simson. Die Ergebnisse könnten auch in den Gesetzesvorschlag im Dezember fließen.
Frankreich hatte gefordert, das System zur Bestimmung der europäischen Strompreise für den Großhandel zu ändern. In der EU bestimmt immer die teuerste genutzte Energiequelle die Strompreise. Zunächst wird der Bedarf durch günstige, erneuerbare Energie gedeckt. Steigt die Nachfrage, werden zum Beispiel auch teure Gaskraftwerke eingeschaltet – dann klettern die Preise für alle hoch. Frankreich findet das System ungerecht, da das Land viel billigen Atomstrom produziert, sich aber trotzdem an den im Zweifel teureren Preisen orientieren muss. Simson sagte hingegen, dass der jetzige Aufbau des Marktes sich bewährt habe und neue Investitionen in erneuerbare Energien fördere.
Schnellere Umsetzung der Energiewende
Die Kommission drängt Mitgliedstaaten, die Energiewende zu beschleunigen, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen am Energiemarkt zu reduzieren. «Letztendlich ist die Lösung die gleiche, ob bei den Preisen, der Sicherung des Energievorrats oder beim Klima: lokale, erschwingliche, erneuerbare Energien voranbringen», sagte Simson. Einige Länder wie Polen hatten die Umweltmaßnahmen der EU für den Preisanstieg verantwortlich gemacht, vor allem den steigenden Preis von Kohlenstoffdioxid (CO2) im Emissionshandel. Auch Spanien hatte vor Spekulation am Emissionsmarkt gewarnt. Im Emissionshandelssystem der EU müssen etwa Stromanbieter für den Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 Zertifikate erwerben, die am Markt gehandelt werden.
Simson betonte, dass der CO2-Preis den Strompreis nur wenig beeinflusse. Der hohe Gaspreis habe einen neun Mal höheren Effekt auf den Strompreis. Die Kommission werde allerdings jegliches wettbewerbswidriges Verhalten auf dem CO2-Markt prüfen, sagte Simson.