Von oben betrachtet: Riesige Tankbehälter im brandenburgischen Seefeld. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Patrick Pleul/dpa)

Wochenlang wurde verhandelt, jetzt steht der Kompromiss: Bundeskanzler Olaf Scholz und die übrigen Staats- und Regierungschefs haben sich beim Brüsseler Gipfel wegen des Ukraine-Kriegs auf einen weitgehenden Öl-Boykott gegen Russland geeinigt.

Das sei nur ein «Öl-Embargo light», analysierte die Energieexpertin Claudia Kemfert. Dennoch wird es tiefgreifende Folgen haben, auch für Millionen Menschen in Deutschland.

Vor allem in den östlichen Bundesländern bangen viele um Jobs und fürchten Schlangen an den Tankstellen und höhere Preise. Vieles ist auch für Fachleute nicht ganz leicht einzuschätzen.

Der Brüsseler Kompromiss: Tankeröl nein, Pipelineöl ja

Ursprünglich hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, den Import von Rohöl aus Russland binnen sechs Monaten zu beenden. Auf Drängen Ungarns wurde aber festgehalten, vorerst nur russische Öl-Lieferungen über den Seeweg zu unterbinden. Transporte per Pipeline sollen zunächst weiter möglich sein. Übergangsfristen und Details fehlen in dem Gipfelbeschluss. Sie dürften in den nächsten Tagen von Diplomaten ausformuliert werden. Mit dem Kompromiss habe «Europa eine Blamage verhindern können», meinte Kemfert, Fachfrau am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Das Embargo «light» werde Russland empfindlich treffen. Davon geht auch der Bundesverband der Deutschen Industrie aus, der die Brüsseler Beschlüsse unterstützt.

Deutsche Abhängigkeit von russischem Öl gesunken

Für Deutschland sieht die Lage nach diesem EU-Kompromiss so aus: Nach Angaben von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist der Anteil russischen Öls am deutschen Verbrauch von 35 Prozent vor dem Ukraine-Krieg bereits auf 12 Prozent gesunken. Tankeröl – vor dem Krieg etwa ein Drittel der Menge – sei ersetzt, sagte Habeck Anfang Mai. Da ändert der EU-Beschluss also nichts. Zwei Drittel der deutschen Ölimporte aus Russland kamen vor dem Krieg aber über die «Druschba»-Pipeline in die großen ostdeutschen Raffinerien in Leuna und in Schwedt.

Deutschland und Polen verzichten freiwillig

Theoretisch könnten Leuna und Schwedt nach dem EU-Beschluss weiter über die «Druschba» beliefert werden, da die Pipeline ja vom Embargo vorerst ausgenommen ist. Doch haben Deutschland und Polen beim EU-Gipfel eine sogenannte Protokollerklärung abgegeben: Sie bekräftigen schriftlich, den Kauf von russischem Öl bis Ende des Jahres zu stoppen. Praktisch gilt die «Pipeline-Ausnahme» also nur für Ungarn, die Slowakei und Tschechien. Nach Angaben von EU-Diplomaten diente die Erklärung auch dazu, den Kompromiss zu erleichtern. Für einige EU-Staaten wäre es vollkommen inakzeptabel gewesen, wenn ein wirtschaftsstarkes Land wie Deutschland weiter von günstigem russischen Öl profitiert hätte.

Es gibt Protest

Während der Betreiber Totalenergies für die Mitteldeutsche Raffinerie in Leuna bereits den Verzicht auf russisches Öl angekündigt hat, liegt der Fall für die PCK-Raffinerie in Schwedt mit rund 1200 Beschäftigten anders: Sie wird von der deutschen Tochter des russischen Staatskonzerns Rosneft mit russischem Öl aus der «Druschba» betrieben.

Habeck sucht für Schwedt nach alternativen Lieferwegen mit Tankeröl über Rostock und Danzig. Doch fürchtet das Land Brandenburg, dass die Raffinerie damit nur zu 60 Prozent ausgelastet wäre. Die Sorge: Die Anlage könnte unwirtschaftlich werden, Jobs könnten verloren gehen. Und die Belieferung der ostdeutschen Tankstellen, Industrie und Heizöltanks könnte ins Stottern geraten.

Habeck hat Lieferungen aus der Ölreserve im Westen und finanzielle Hilfen in Aussicht gestellt. Aber die Schwedter Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (SPD) fordert eine Ausnahme des Standorts vom Embargo. Die Raffinerie PCK solle erst mal weiter russisches Öl aus der Druschba-Pipeline verarbeiten. Auch der Ostbeauftragte der Linksfraktion, Sören Pellmann, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wenn es Ausnahmeregelungen für EU-Staaten gibt, sollte auch Ostdeutschland davon Gebrauch machen können.»

Preise dürften steigen – Prognose schwierig

Für alle deutschen Verbraucher und die Industrie dürfte auch das «Öl-Embargo light» bei den Kosten durchschlagen. Denn russisches Öl muss auf dem Weltmarkt ersetzt werden, die Nachfrage treibt die Preise. Tatsächlich legten die Rohölpreise am Dienstag deutlich zu. Doch tun sich auch Experten mit Prognosen schwer.

So erklärte der Wirtschaftsverband Fuels und Energie auf Anfrage: «Klar ist, dass mit einem Ölembargo auf russisches Öl Bezugsquellen auf dem Weltmarkt für Deutschland wegfallen. Wie sich in der Folge die Preise mittelfristig entwickeln, lässt sich nicht vorhersagen.» Ähnlich äußerte sich der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum, fügte aber hinzu: «Ich gehe nicht davon aus, dass es schockartige Preissprünge geben wird.»

Es kommt gleichzeitig auch Entlastung

Der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, warnte im «Spiegel» vor Spritmangel: «Auf den Ölmärkten könnte es im kommenden Sommer eng werden.» Wenn die Haupturlaubssaison in Europa und den USA losgehe, werde die Treibstoffnachfrage steigen. Dann könnte es zu Engpässen kommen.

Doch ist laut Südekum auch eine Vorhersage zu den Preisen an der Zapfsäule schwierig. «Beim Benzinpreis gibt es einen Markt mit vielen Einflussgrößen», sagte der Experte. «Aber wenn meine These zu den Rohölpreisen stimmt, dann dürfte es auch keine Benzinpreissprünge geben oder sie müssten andere Ursachen haben. Vielmehr dürfte nun eigentlich der zum 1. Juni geltende Tankrabatt dominieren, so dass die Preise an der Tankstelle sinken.»

Dieser Tankrabatt ist Teil des Entlastungspakets der Bundesregierung: Die Steuerbelastung auf Kraftstoffe sinkt ab Mittwoch bis Ende August um 35,2 Cent pro Liter bei Superbenzin und um 16,7 Cent pro Liter bei Diesel. Wird das den möglichen Effekt des Öl-Embargos wettmachen? Südekum ist zurückhaltend: «Bei früheren ähnlichen Beschlüssen haben wir gesehen, dass solche Steuersenkungen nur zu 60 Prozent an Verbraucher weiter gegeben wurden. Da nun beides zusammenkommt – Ölembargo und Tankrabatt – wird man wohl nur im Nachhinein forensisch nachvollziehen können, wie sich die Preise entwickelt haben.»

Von Ansgar Haase und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

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