Fotos, Blumen und Kerzen an der Gedenkstätte «Strawberry Fields» in New Yorks Central Park. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Mark Lennihan/AP/dpa)

Inmitten der Corona-Pandemie war John Lennons wohl bekanntester Hit mal wieder in aller Ohren. Während des Lockdowns hatte eine Reihe von Hollywood-Stars um Gal Gadot für ein gemeinsames Internet-Video «Imagine» eingesungen.

Die gut gemeinte Aktion kam zwar nicht so gut an (viele kritisierten sie in den Sozialen Medien etwa als sinnlose Geste). Doch es war kein Zufall, dass die Macher für ihren Clip, der Hoffnung geben sollte, den Lennon-Song gewählt hatten. Seit 50 Jahren gilt «Imagine» als Hymne für eine bessere Welt. Am 11. Oktober 1971, einen Monat nach dem gleichnamigen Album, wurde die Single in Großbritannien veröffentlicht.

Stevie Wonder, Queen, Lady Gaga und unzählige andere Musiker coverten das Lied bereits. Es wird regelmäßig bei festlichen Veranstaltungen gespielt und ist auch bei traurigen Anlässen zu hören.

Die Idee stammt von Lennons Witwe Yoko Ono, die allerdings erst mit großer Verspätung seit 2017 auch als Songwriterin eingetragen ist. Der Ex-Beatle Lennon hatte sich das zu Lebzeiten gewünscht. Onos avantgardistischer Gedichtband «Grapefruit» soll nämlich die Grundlage für «Imagine» gewesen sein. «Imagine the clouds dripping» («Stell dir vor, die Wolken tropfen») heißt es in dem Buch unter anderem. Aus der abstrakten Lyrik der japanischen Künstlerin machte Lennon einen Songtext, dessen übergeordnete Botschaft wohl jeder versteht.

«Stell dir vor, es gäbe keine Staaten, nichts, wofür man töten oder sterben müsste», heißt es in der zweiten Strophe. Lennon äußerte damit schon 1971 eine Idee, die heute das No-Border-Netzwerk und ähnliche Bewegungen propagieren – eine Welt ohne Grenzen. Kritikern nahm der Sänger im Refrain den Wind aus den Segeln: «Ihr könnt sagen, dass ich ein Träumer bin, aber ich bin nicht der einzige.»

«Und auch keine Religion», singt Lennon weiter, «stell dir vor, wie die Leute alle in Frieden leben.» Nicht nur bei Kirchenvertretern ist diese Zeile bis heute höchst umstritten. So äußerte sich der ehemalige Berliner Bischof Markus Dröge 2017 in einem Interview der «WamS» kritisch: «Wäre die Welt besser, wenn es keine Religion gäbe?», sagte Dröge. «Da würde ich natürlich mit ihm streiten.» Doch Lennon wollte Religion nicht zwingend abschaffen.

Dem «Playboy» sagte er 1980, er habe nur eine Welt «ohne religiöse Konfessionen, ohne dieses Mein-Gott-ist-besser-als-dein-Gott-Gehabe» im Sinn gehabt. Der Weltkirchenrat habe ihn einst gefragt, ob man das Lied nutzen und den Text in «Stell dir eine Religion vor» ändern dürfe. Lennon lehnte selbstverständlich ab. «Die haben mir gezeigt, dass sie es überhaupt nicht verstanden haben», sagte er. «Das hätte den gesamten Zweck des Liedes zerstört, die gesamte Idee.»

Umstritten war seinerzeit auch die dritte Strophe. «Stell dir vor, es gäbe keinen Besitz. Ich frage mich, ob du das kannst.» Als Heuchler wurde der Multimillionär Lennon, der mehrere teure Anwesen und Autos besaß, kritisiert. Kaum auszudenken, was er heutzutage auf Twitter abbekäme. Lennon, der sich nicht auf Individuen bezog, sondern an die Gesellschaft dachte, war sich dessen bewusst. Wenn er den Song live sang, änderte er den Text und bezog sich selbst mit ein: «Stell dir vor, es gäbe keinen Besitz. Ich frage mich, ob wir das können».

Keine Religion, keine Grenzen, kein Besitz – der Ex-Beatle räumte später ein, dass die radikalen gesellschaftlichen Ideen in seinem Song eindeutige Parallelen zum Kommunismus hätten. «Das ist praktisch das Kommunistische Manifest, obwohl ich nicht gerade ein Kommunist bin und auch keiner Bewegung angehöre», sagte der Sänger im Interview dem «Playboy» – nur wenige Tage, bevor er 1980 von einem Fan vor dem New Yorker Dakota Building, in dem er lebte, erschossen wurde.

Die Gedenkstätte «Strawberry Fields» ganz in der Nähe – am Eingang zum Central Park – erinnert an ihn. Die Inschrift: «Imagine». Straßenmusiker und pilgernde Fans singen dort oft seine Lieder, die man vielleicht nicht zu wörtlich nehmen sollte. Es ist ein zeitloser Song, der in schwierigen Zeiten Hoffnung auf eine bessere Welt machen soll. Auch deshalb ist «Imagine» heute so relevant wie 1971 – und vielleicht noch populärer.

Von Philip Dethlefs, dpa

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