Wie kann sich Deutschland künftig besser gegen Extremwettereignisse wappnen? Und würde eine Versicherungspflicht gegen Schäden, die Naturgefahren mit sich bringen, weiterhelfen?
Mit diesen Fragen hat sich der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) als unabhängiges Expertengremium intensiv befasst – und seine Analysen dem Verbraucherschutzministerium vorgelegt. Das neunköpfige Team, das die Bundesregierung berät, plädiert darin für eine Pflichtversicherung gegen sogenannte Elementarschäden. Hier ein Überblick.
VORSCHLAG DES EXPERTENRATS
Die Experten schlagen eine verpflichtende Basisversicherung gegen Elementarschäden für alle Eigentümer von Wohngebäuden vor. Demnach würden alle Eigentümer von Wohngebäuden gesetzlich verpflichtet, ihre Gebäude – selbst genutzt oder vermietet – gegen Elementarschäden abzusichern. Als Elementarschäden gelten Schäden, die durch die Natur verursacht werden, also durch Sturm, Hagel, Überschwemmung, Erdbeben, Lawinen, Schneedruck und Vulkanausbrüche. Nach Angaben der Experten sind derzeit weniger als die Hälfte der Wohngebäude in Deutschland gegen Naturgefahren versichert.
In Rheinland-Pfalz, dem Bundesland, das besonders schwer von der Sturzflut im vergangenen Sommer betroffen war, beträgt die Versicherungsdichte demnach lediglich 37 Prozent. «Die Flutkatastrophe des Sommers 2021 hat gezeigt, dass Deutschland vom Klimawandel voll erfasst wird, aber nicht hinreichend an die Folgen des Klimawandels angepasst ist», heißt es dazu in dem Gutachten. Der Sachverständigenrat rechnet vor, dass die Geschädigten der Flutkatastrophe im Ahrtal 30 Milliarden Euro Hilfsgelder aus Steuermitteln erhalten hätten.
WARUM EINE PFLICHT UMSTRITTEN IST
Bereits 2019 hatte der Sachverständigenrat eine Versicherungspflicht vorgeschlagen – was aber keine politische Umsetzung fand. 2017 hatte eine Arbeitsgruppe der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister noch «durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken» gegen die Pflichtversicherung angeführt. Ein neues Rechtsgutachten, das der Sachverständigenrat nun ebenfalls präsentierte, kommt allerdings zu dem Schluss, dass eine solche Pflicht «verfassungskonform» sei.
Die Diskussion bleibt schwierig – auch weil die Versicherungsbranche auch nach der Flut eine Pflichtversicherung mitunter als zu großen Eingriff in die Grundrechte ablehnte. Auch die Prämienhöhen und die Frage, ob Versicherte in einer besonders gefährdeten Region mehr zahlen müssten als andere, blieben bis zuletzt umstrittene Punkte. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und der Verbraucherzentrale Bundesverband schlagen alternative Modelle vor – ohne Pflicht für alle. Auch die greift der Sachverständigenrat in seinem neuen Gutachten auf.
WAS DIE ALTERNATIVEN ZUR PFLICHT VORSEHEN
Der GDV schlägt vor, allen, die schon einen Versicherungsvertrag haben, auch eine Versicherung gegen Elementarschäden anzubieten – aber mit der Option, diese nicht anzunehmen. Jedoch müssten Versicherte dann unterschreiben, dass der Staat im Falle einer Katastrophe nicht für die Schäden haftet. Der Vorschlag des Verbraucherzentrale Bundesverbands setzt zunächst auch auf Freiwilligkeit – lässt aber die Möglichkeit einer Versicherungspflicht offen. Auch plädieren die Verbraucherschützer für eine Versicherung gegen alle Gefahren, also auch gegen Sturmfluten. Die deckt eine Elementarschadenversicherung aktuell noch nicht ab.
STIMMUNG IN DER BEVÖLKERUNG
Die Experten berufen sich auf jüngste repräsentative Online-Umfragen, die das Institut Infratest Dimap in ihrem Auftrag unter Wahlberechtigten durchgeführt hat: Demnach spricht sich eine Mehrheit der Befragten für eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden aus. Was die Befragungen im Oktober 2021 und Januar 2022 ebenfalls ergeben hätten: Das Vertrauen der Bevölkerung in die Versicherungsbranche sei nur «moderat ausgeprägt». Auch so erklären sich die Experten die bisherige Zurückhaltung vieler Menschen, eine solche Versicherung abzuschließen.
WAS NUN FOLGT
Bis Juni wird sich die Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz mit den Vorschlägen befassen und dann ihre Prüfungsergebnisse vorlegen. Die Debatte über eine Versicherungspflicht sei «auf der politischen Agenda» und werde nun auch im Lichte der Flutkatastrophe und drohender weiterer Extremereignisse neu bewertet, erklärte Christiane Rohleder, die als Staatssekretärin im neuen Verbraucherschutzministerium das Gutachten des Sachverständigenrats am Donnerstag entgegennahm. Professor Gert Wagner, Mitautor der Studie und Mitglied des Sachverständigenrats, mahnte: «Die Politik wird nicht darum herumkommen, den gesetzlichen Rahmen anzupassen.»