Europas Währungshüter ziehen im Kampf gegen die Rekordinflation die Zinszügel kräftig an. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) beschloss am Donnerstag eine weitere deutliche Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte. Damit steigt der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB leihen können, auf 2,0 Prozent, wie die Notenbank in Frankfurt mitteilte. Mit ihren Zinserhöhungen will die EZB Kredite verteuern, um die Nachfrage zu bremsen und so hohen Teuerungsraten entgegenzuwirken. Die Notenbank stellte weitere Zinserhöhungen in Aussicht.
Die EZB sei noch nicht fertig mit der Normalisierung der Geldpolitik, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde. «Die Inflation ist nach wie vor deutlich zu hoch und wird für längere Zeit über dem Zielwert bleiben.» Die Notenbank strebt für den Euroraum mittelfristig stabile Preise bei einer Inflationsrate von zwei Prozent an. Die Jahresteuerungsrate war im September im gemeinsamen Währungsraum angetrieben von hohen Energie- und Lebensmittelpreisen auf einen Rekordwert von 9,9 Prozent gestiegen.
«Die Europäische Zentralbank darf nun nicht nachlassen und muss weitere ähnlich große Schritte gehen», mahnte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), Helmut Schleweis. «Gemessen an den inzwischen zweistelligen Inflationsraten genügt das nun erreichte Zinsniveau noch nicht.» Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sollte die EZB «ihre Leitzinsen in den kommenden Monaten weiter entschieden anheben und sich nicht von der anbahnenden Rezession irritieren lassen».
Bedingungen für langfristige Kredite verschärft
Nach langem Zögern hatte der EZB-Rat bei seiner Sitzung am 21. Juli erstmals seit elf Jahren die Zinsen im Euroraum wieder angehoben. Die zweite Erhöhung folgte am 8. September – erstmals in der Geschichte der Notenbank um 0,75 Prozentpunkte. Die EZB hatte die hohe Inflation lange als vorübergehend interpretiert und hatte erst später als beispielsweise die US-Notenbank Fed mit Zinserhöhungen begonnen.
Der sogenannte Einlagensatz, den Kreditinstitute erhalten, wenn sie Geld bei der EZB parken, steigt nach der Entscheidung vom Donnerstag auf 1,50 Prozent. Zur Freude von Millionen Sparern endete mit der ersten Zinserhöhung im Juli auch die Phase der Negativzinsen. Geschäftsbanken müssen seither nicht mehr 0,5 Prozent Zinsen für einen Teil des Geldes zahlen, dass sie bei der Notenbank parken. Die meisten Institute schafften in der Folge Negativzinsen für Privatkunden wieder ab und tasten sich bei den Sparzinsen nach oben.
Zugleich verschärfte die EZB die Bedingungen für langfristige Kredite an Geschäftsbanken. Nach Einschätzung von Michael Peters, Bankenexperte der Bürgerbewegung Finanzwende, war der Schritt überfällig. Die Notenbank hatte zwei Billionen Euro an günstigen Krediten mit langer Laufzeit aufgelegt, um die Folgen der Corona-Krise abzufedern. Die Vereinbarungen zu den besonders günstigen Konditionen waren problematisch geworden, nachdem die Zinserhöhungen es Kreditgebern ermöglichten, diese Gelder auf EZB-Konten zu parken und risikolose Erträge zu erzielen.
Sorge vor Ausbremsung der Konjunktur
Eine weitere Entscheidung auf dem Weg zur Normalisierung der Geldpolitik zeichnet sich zum Ende des Jahres ab. Die EZB werde im Dezember über die Prinzipien der Rückführung ihres allgemeinen Anleihenkaufprogramms APP entscheiden, sagte Lagarde. Zwar stellte die EZB zum 1. Juli 2022 den Kauf neuer Wertpapiere im Rahmen des Programms ein. Gelder aus Papieren, deren Laufzeit endet, werden bislang aber in vollem Umfang wieder neu angelegt. Insgesamt steckte die Notenbank im Rahmen des seit März 2015 genutzten Programms bis Ende September rund 3,4 Billionen Euro in Staatsanleihen und Unternehmenspapiere.
Allerdings gibt es Sorge, mit einer zu schnellen Normalisierung der zuvor jahrelang ultralockeren Geldpolitik die Konjunktur auszubremsen, die ohnehin unter Lieferengpässen und den Folgen des Ukraine-Krieges etwa auf dem Energiemarkt leidet. Die EZB erfülle Erwartungen, gerate aber zunehmend in einen Zielkonflikt, sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Wirtschaft im Euroraum schwäche sich weiter ab «und die Risiken einer länger anhaltenden Schwächephase nehmen zu». Die EZB behält sich vor, über Anleihenkäufe hochverschuldeten Eurostaaten unter die Arme zu greifen.