Das Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main. Nach dem jüngsten Zinsentscheid der US-Notenbank gerät die EZB unter Druck. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sebastian Gollnow/dpa)

Die deutliche Zinserhöhung in den USA erhöht den Druck auf Europas Währungshüter.

Angesichts der höchsten Inflationsrate in den USA seit Jahrzehnten greift die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) durch: Sie erhöht ihren Leitzins um 0,5 Punkte und signalisiert eine «rasche» weitere Straffung ihrer Geldpolitik. Am Donnerstag legte auch die britische Notenbank im Kampf gegen hohe Inflationsraten nach: Der dortige Leitzins steigt um 0,25 Prozentpunkte auf 1,0 Prozent.

Der entschlossene Kurs von Fed und Bank of England ist ein weiteres Signal an die Europäische Zentralbank (EZB), auch im Euroraum die Kurswende zu forcieren. «Frau Lagarde, so geht das!», schrieb der Chefvolkswirt der Targobank, Otmar Lang, mit Blick auf die Fed-Entscheidung an EZB-Präsidentin Christine Lagarde gerichtet.

Denn auch im Währungsraum der 19 Länder hat die Inflation im April mit 7,5 Prozent ein Rekordhoch erreicht. Das ist meilenweit entfernt vom Mittelfristziel der EZB, die stabile Preise bei 2,0 Prozent Teuerung anstrebt. «Die Fed schreitet mutig voran», kommentierte VP-Bank-Chefvolkswirt Thomas Gitzel. «Die EZB sollte den Staffelstab jetzt übernehmen und ebenfalls deutlich machen, dass im laufenden Jahr mehrere Zinsanhebungen zu erwarten sind.»

Anzeichen für eine baldige Kursänderung der EZB

Immerhin mehrten sich zuletzt die Anzeichen für eine baldige Kursänderung der EZB. «Jetzt reicht es nicht mehr zu reden, wir müssen handeln», sagte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel dem «Handelsblatt». «Aus heutiger Sicht halte ich eine Zinserhöhung im Juli für möglich.» Zuvor sollten die Nettozukäufe von Anleihen eingestellt werden, voraussichtlich Ende Juni.

Schnabels Kollege Fabio Panetta sagte im Interview der italienischen Tageszeitung «La Stampa» (Donnerstag) zwar, die EZB könne die vor allem von hohen Energiepreisen und Lieferengpässen getriebene Inflation nicht alleine zähmen. Doch auch der Italiener sieht den Zeitpunkt für eine Abkehr von der seit Jahren ultralockeren Geldpolitik gekommen: «Unter den derzeitigen Umständen sind negative Zinssätze und Nettokäufe von Vermögenswerten möglicherweise nicht mehr notwendig», sagte Panetta «La Stampa». «In den nächsten Wochen werden wir entscheiden, wann im dritten Quartal die Nettoanleihekäufe enden werden. Wir werden dann über die Zinssätze entscheiden und könnten beschließen, die negativen Zinssätze zu beenden.»

Derzeit müssen Banken 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Volkswirte erwarten, dass die Notenbank mit Sitz in Frankfurt in diesem Jahr in mehreren Schritten zunächst diesen negativen Einlagensatz auf null Prozent anheben wird. In der Folge könnte dann auch der Leitzins im Euroraum, der seit mehr als sechs Jahren auf dem Rekordtief von null Prozent liegt, wieder steigen.

«Die Inflation ist viel zu hoch»

Die US-Inflationsrate liegt seit vielen Monaten deutlich über der von der Fed angestrebten Rate von mittelfristig zwei Prozent. Zuletzt waren es 8,5 Prozent. «Die Inflation ist viel zu hoch», sagte Zentralbank-Chef Jerome Powell am Mittwoch vor Journalisten. «Wir handeln rasch, um sie wieder zu senken.»

Infolge der am Mittwoch angekündigten Erhöhung liegt der Leitzins in den USA nun in der Spanne von 0,75 bis 1 Prozent. Es war die zweite Erhöhung des Leitzinses seit Beginn der Corona-Pandemie – und der erste Anstieg um 0,5 Punkte seit 22 Jahren. Auch bei den nächsten Sitzungen des Zentralbankrats dürften wieder Zinserhöhungen um je 0,5 Punkte anstehen, sagte Powell. Bis Jahresende könnte der Leitzins der Fed Analysten zufolge bei oder über 2 Prozent liegen. Zudem baut die Fed von Juni an ihre Bilanzsumme ab, was den Märkten monatlich Liquidität in zweistelliger Milliardenhöhe entziehen wird.

Leitzinserhöhungen sind ein gefährlicher Balanceakt

Mit ihren Leitzinserhöhungen will die Fed Kredite verteuern, um die Nachfrage zu bremsen. Das hilft dabei, die Inflationsrate zu senken, schwächt aber auch das Wirtschaftswachstum. Für die Notenbank ist es daher ein gefährlicher Balanceakt: Sie will die Zinsen so schnell und stark anheben, dass die Inflation ausgebremst wird, ohne dabei aber gleichzeitig Konjunktur und Arbeitsmarkt abzuwürgen.

Die Finanzierungskosten etwa für Hypotheken in den USA haben sich durch die straffere Geldpolitik der Fed schon deutlich erhöht. Kritiker werfen der Zentralbank indes vor, zu spät auf den Anstieg der Preise reagiert zu haben. Ihrer Meinung nach hätte die Fed bereits in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres ihre Programme zur Unterstützung der Konjunktur aus der Corona-Krise einstellen und die Zinsen erhöhen sollen. Die Fed hatte die Inflation 2021 größtenteils noch als «vorübergehendes» Phänomen beschrieben. Die EZB führte dieses Argument noch länger an.

Eine Herausforderung für die Notenbanken ist es, dass sie manche Ursachen der Preissteigerungen nur begrenzt beeinflussen können. «Die Geldpolitik hat nur begrenzten Spielraum, um diese importierte Inflation zu beeinflussen», sagte EZB-Direktoriumsmitglied Panetta. Die Triebkräfte der Inflation seien global.

Powell erklärte, die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, etwa mit Blick auf steigende Energie- und Lebensmittelpreise, verstärkten den Inflationsdruck und dürften die Konjunktur belasten. Auch die Corona-Lockdowns in China dürften für neue Unterbrechungen der globalen Lieferketten sorgen, was sich auf Inflation und Wachstum auswirken könnte.

«Wir müssen an mehreren Fronten handeln, nicht nur durch die Geldpolitik», mahnte EZB-Vertreter Panetta. «Die Ukraine zu unterstützen und alles in unserer Macht Stehende zu tun, damit der Krieg schnell beendet wird, ist zugleich der beste Weg, um die Inflation schnell zu senken.»

Von Jürgen Bätz und Jörn Bender, dpa

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