Timo Gößler, Dozent für Dramaturgie und Serielles Erzählen an der Filmuniversität Babelsberg. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Privat/Filmuniversität Babelsberg /dpa)

Die Serienvielfalt ist enorm – und inzwischen werden auch die Menschen, die darin vorkommen, diverser. Nach Ansicht von Experten ist diese Vielfalt sogar immer öfter die Triebfeder der Handlung.

«Es gibt die starke Tendenz, nach Jahrzehnten gebrochener, amoralischer Figuren und menschlicher Abgründe neuerdings eher Utopien und Lebensfreude in den Fokus zu nehmen», sagt Timo Gößler, Dozent für Dramaturgie und Serielles Erzählen an der Filmuniversität Babelsberg in Potsdam. «Seit ein paar Jahren ist Diversität in all ihren Facetten bei angloamerikanischen Serien der Motor für innovative, neue Erzählansätze», sagt der 43-Jährige. Beispiele seien etwa die Netflix-Serien «Hollywood» oder «Die Professorin».

Serien mit sogenanntem Empowerment – damit sind Inhalte gemeint, die nicht runterziehen, sondern eher positives Denken und auch Selbstbestimmung etwa von Gruppen stärken – schafften eine Vielzahl neuer Narrative und zudem positive «Möglichkeitsräume» fürs Publikum, sagt Gößler, der mit Katrin Merkel das Buch «Der German Room – Der US-Writers‘ Room in der deutschen Serienentwicklung» geschrieben hat.

So erzähle etwa «Hollywood» als utopische Historienserie bei Netflix von einer Traumfabrik, in der in den 50er Jahren schon Schwarze (PoC) Hauptdarsteller-Oscars gewannen und Frauen Studiobosse waren.

Die britische Netflix-Serie «Sex Education» erfinde die Highschool-Serie neu – statt Geschlechterklischees und dummer Witze gebe es dort Vielfalt und Aufklärung.

Und in der neuen Netflix-Serie «Die Professorin» (Original: «The Chair») wird das heiße Eisen politische Korrektheit an amerikanischen Universitäten ironisch-klug aufgegriffen – und zwar anhand von Dr. Ji-Yoon Kim, die sich an einem von älteren Herren dominierten Englisch-Fachbereich beweisen muss.

Aus Sicht vieler Experten begann das Serienzeitalter – oder besser die Ära der Edel- oder auch High-End-Serien – vor gut 30 Jahren. Spätestens seit «Twin Peaks» von David Lynch sind sogenannte Qualitätsserien aus dem Diskurs nicht mehr wegzudenken. Gemeint sind Produktionen, die sich durch episodenübergreifende, horizontale Erzählweisen auszeichnen – und keine berechenbaren Soap-Operas sind.

In Deutschland feierte «Das Geheimnis von Twin Peaks» am 10. September 1991 seine TV-Premiere bei RTL (damals noch RTL plus).

Daraus entwickelte sich ein neues popkulturelles Phänomen; das Autorenkino hielt Einzug ins Fernsehen. Doppelbödige Handlungen, komplizierte Charaktere, Abhängigkeiten, Abgründe, Geheimnisse, Verästelungen oder auch Übersinnliches suchten die Zuschauer zu Hause heim – und beendeten die gemütlichen alten Sofa-Sehgewohnheiten.

Anspruchsvolle Serien gelten seit den 90ern als das angesagte Erzählformat der Gegenwart. Man denke an die Hypes um Serien wie «Ally McBeal», «Sex and the City», «24», «Six Feet Under – Gestorben wird immer», «Breaking Bad», «House of Cards», «Die Brücke», «Borgen», «Haus des Geldes», «The Young Pope» oder «The Crown».

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