Das Cover des Albums "Gloria" von Sam Smith. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Capitol/Universal Music/dpa)

Sam Smith steht in den ersten Karrierejahren vor allem für hochemotionale Schmusesongs und gewinnt damit sogar einen Oscar. Mittlerweile sind die Lieder tanzbarer und versexter. Auf dem vierten Album «Gloria» geht die Metamorphose des Popstars aus Großbritannien weiter.

Rückblick: Selbstzweifel und Trennungsschmerz nehmen auf Sam Smiths Debütalbum «In the Lonely Hour» 2014 viel Raum ein. «Stay With Me» und «I’m Not The Only One» werden zu großen Hits, es hagelt direkt viel Lob, vier Grammys und 2016 den Oscar für den James-Bond-Titelsong «Writing’s on the Wall». Ein steiler Aufstieg mit Anfang 20.

Doch Smith ist voller Selbstzweifel, das ist den Songs anzumerken. Auch öffentlich zeigt sich der Newcomer eher verschlossen. Das ändert sich aber in den kommenden Jahren. Smith kleidet sich gern extravagant, auch freizügiger als zuvor. Ein Wendepunkt ist dabei 2019 sicher die öffentliche Erklärung, nicht-binär zu sein, sich also auf keine Geschlechteridentität festzulegen.

«Es hat alles verändert», erinnert sich Smith im britischen «Rolling Stone». Der Weg zu mehr Selbstliebe ist endgültig eingeschlagen. Es ist ein wiederkehrendes Thema auf «Gloria».

Der lange Weg zur Selbstliebe

Schon im ersten der insgesamt 13 Songs, der schon veröffentlichten Single «Love Me More», heißt es melancholisch: «Jeden Tag versuche ich, mich nicht selbst zu hassen. Aber seit kurzem tut es nicht mehr so weh wie früher. Vielleicht lerne ich, mich mehr selbst zu lieben.»

«Selbstliebe ist kein Ziel – es ist die tägliche Hingabe, sich selbst zu akzeptieren», erklärt Smith im Interview. Der Popstar aus einem Dorf in der Nähe von Cambridge ist mit seinen öffentlichen Statements ein Vorbild für viele Menschen, die sich anders fühlen, Geschlechterrollen hinterfragen und einfach sie selbst sein wollen.

Die queere Popkultur ist auf «Gloria» unüberhörbar. Es gibt Zitate der Drag Queen RuPaul («Wenn du dich selbst nicht liebst, wie zur Hölle kannst du dann andere lieben?»), aus der Dokumentation «Gay and Proud» über das Leben Homosexueller in den 1970ern («Lügen zu müssen, ist das Traurigste und Hässlichste daran, schwul zu sein.») und der Schwulenikone Judy Garland («Der Zauberer von Oz»).

Der speziellste Song auf dem Album ist wohl der Clubhit «Unholy», ein Duett mit der in Deutschland geborenen Sängerin Kim Petras, der es im Herbst auf Platz Eins in Großbritannien und den USA schaffte. Das Lied über einen Familienvater, der sich im Stripclub vergnügt, strotzt nur so vor Sexappeal und Erotik.

Elektro-Pop zum Tanzen

Auch musikalisch gibt «Unholy» die Richtung vor, die Smith mehr und mehr einschlägt. Weniger Trennungsballaden, mehr Elektro-Pophits für die Tanzfläche – so wie die Single «Gimme» oder das R&B-angehauchte «I’m Not Here To Make Friends». Dort singt Smith über einen Abend im Club selbstbewusst: «Ich bin nicht hier um Freunde zu finden, sondern einen Liebhaber».

In «Gloria» geht es also um Selbstliebe, Sehnsüchte und Sex. Doch natürlich dürfen auch Balladen (wie «No God» oder «How To Cry») nicht fehlen, bei denen Smiths verletzliche und hohe Stimme erst recht zum Tragen kommt. Im Duett mit einem anderen britischen Superstar – Ed Sheeran – besingen die beiden in «Who We Love» die Liebe: «Wir leben, wen wir lieben.»

Was für viele wie eine Plattitüde klingt, ist für die queere Gemeinde einer von vielen Schritten hin zur Selbstakzeptanz. Der offene Umgang und die Musik von Sam Smith, mittlerweile 30, haben vor allem jungen Menschen helfen können. Sie stehen bei Konzerten mehr und mehr im Publikum – neben Drag Queens, Hetero-Paaren und älteren Frauencliquen. Ein Mix, den aktuell wohl nur Harry Styles schafft.

«Mein Publikum war schon immer sehr breit angelegt. Aber es ist schön zu sehen, dass eine neue Generation Spaß an meiner Musik hat», erklärt Smith. «Das ist absolut wild.» Genauso, wie die Metamorphose von Smith, die in «Gloria» textlich und musikalisch einen Abschluss erlebt. Dazu ist es ein gut durchhörbares Album für alle Stimmungslagen – nicht nur für die melancholischen Momente.

Von Thomas Bremser, dpa

Von