Nach Einschätzung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck besteht für Deutschland die Chance, trotz fehlenden russischen Gases «gut über den Winter zu kommen». Eine Chance – das Wort schob der Grünen-Politiker am Montag vor Journalisten in Lubmin noch einmal nach. Denn dafür müsse in Deutschland viel gespart werden, und man brauche «ein bisschen Glück mit dem Wetter». Aber immerhin: Nach eigener Aussage hätte er das vor ein paar Monaten noch nicht so gesagt.
Damit auch für den darauffolgenden Winter diese Chance besteht, setzt die Bundesregierung unter anderem auf den Import von Flüssigerdgas (LNG). Auch in Lubmin soll LNG anlanden und russisches Erdgas ersetzen, das dort noch vor Wochen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 ankam. Am Montag trafen sich Habeck und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) in Lubmin, um sich unter anderem über die LNG-Pläne auszutauschen.
Ein vom Bund gechartertes schwimmendes Terminal soll etwa 30 bis 40 Kilometer vor Lubmin in der Ostsee befestigt werden und LNG von Tankern entgegennehmen. Eine noch zu bauende Pipeline soll das Gas bis nach Lubmin leiten, von wo aus es über weitere Pipelines verteilt werden soll. In der zweiten Hälfte des kommenden Jahres soll so die Kapazität für etwa fünf Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich bereitstehen.
Habeck: Nach dem Winter sind die Speicher leer
Bei dem Pressetermin fuhren Habeck und Schwesig auch an der Baustelle eines schon weiter fortgeschrittenen Projekts vorbei. Das Unternehmen Deutsche Regas will hier bereits ab diesem Dezember LNG anlanden. Bagger vertieften am Montag schon einmal das Hafenbecken für das schwimmende Terminal. Darüber hinaus sieht es laut Habeck für LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel gut aus für einen Start noch zum Jahreswechsel.
Habeck sagte, der Füllstand der Gasspeicher nähere sich der Marke von 90 Prozent an und der Preis sei trotz ausbleibender russischer Lieferungen in den vergangenen Wochen gesunken. Im Winter solle das Gas aus den Speichern zur Verfügung gestellt werden. «Das heißt aber auch, dass die Speicher dann am Ende des Winters wieder leer sein werden, in diesem Fall richtig leer, weil wir das Gas nutzen werden.» Dann müsse man wieder schnell einspeichern. Deshalb sei etwa die geplante LNG-Anlandung in Lubmin wichtig.
Als Treffpunkt mehrerer Gas-Pipelines eigne sich Lubmin besonders, wie Schwesig sagte. Diese Infrastruktur bestünde ohne die Leitungen Nord Stream 1 und die nie in Betrieb gegangene Nord Stream 2 nicht. Sie verteidigte sich erneut für die Unterstützung von Nord Stream 2 in der Vergangenheit. Dabei sei es um preiswerte Energie auch für ganz Deutschland gegangen. Dass in der Vergangenheit etwa keine Energiebedarfsrechnung gemacht worden sei oder andere Landesteile nicht besser angebunden worden seien, habe nicht MV zu verschulden.
Schwesig: Können auf Russland nicht mehr setzen
Schwesig sagte, es bestehe kein Vertrauensverhältnis mehr zu Russland. «Russland führt Krieg in Europa». Man könne auf so einen Partner nicht mehr setzen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hatte zuvor gesagt, dass seiner Ansicht nach nie Gas von Russland nach Deutschland durch Nord Stream 2 fließen werde. Auch Habeck sagte, er sehe «kein absehbares Szenario, wo Nord Stream 2 eine Rolle für die Energiesicherheit in Deutschland spielt». Mit einer Inbetriebnahme würde man eine strategische Abhängigkeit von Russlands Präsidenten Wladimir Putin fortschreiben.
Dass nicht alle Menschen Russland so kritisch gegenüberstehen, zeigte etwa eine Demonstrantin mit Russland-Flagge, die in dem Moment auf einer Mole in Lubmin stand, als Habeck und Schwesig im Rahmen des Termins an Deck eines Ausflugsschiffes vorbeifuhren.
Beim Bund bestünden auch keine Pläne, sich Kontrolle über die Pipeline zu verschaffen, um sie etwa für das LNG-Terminal zu nutzen, sagte Habeck. Theoretisch hätte man sich so das Verlegen einer weiteren Pipeline durch den Greifswalder Bodden sparen können – einem Schutzgebiet. Auch der Bau dieser Leitung samt ausstehender Genehmigungen macht den angestrebten Zeitplan ehrgeizig. Nach normalerweise geltenden Maßstäben arbeite man hier mit «Lichtgeschwindigkeit», sagte Habeck.
Schwesig betonte, dass der Ausbau der Infrastruktur zweigleisig erfolge. So solle sie später auch für den klimafreundlicheren Energieträger Wasserstoff genutzt werden. In der Zukunft müsse Deutschland ganz auf erneuerbare Energien setzen. «Weil eins ist ganz klar: Egal wo fossile Energien herkommen, mit fossilen Energien sind wir abhängig, immer abhängig, weil wir sie selber nicht haben.»