Mit der größten Streikaktion seit Jahrzehnten haben Tausende Hafenarbeiter am Donnerstag erneut die Abfertigung von Frachtschiffen in den deutschen Nordseehäfen blockiert. Damit geraten die seit Beginn der Corona-Pandemie immer mehr gestörten Abläufe in den weltweiten Lieferketten unter zusätzlichen Druck. Vor diesem Hintergrund wollen Logistikunternehmen den Arbeitskampf nun per Gerichtsbeschluss stoppen. «Wir lassen die Verhältnismäßigkeit von Streiks rechtlich überprüfen», hieß es in Branchenkreisen.
Die Beschäftigten traten an allen wichtigen Häfen mit der Frühschicht in den Ausstand, erst am Samstagmorgen soll die Arbeit nach 48-stündiger Unterbrechung weitergehen. Neben dem größten deutschen Seehafen in Hamburg als zentralem Drehkreuz für Im- und Exporte sind vor allem die Häfen in Bremerhaven, Bremen sowie Emden und Wilhelmshaven betroffen.
Verdi erhöht den Druck
Die Gewerkschaft Verdi will nach sieben ergebnislosen Gesprächsrunden im Tarifstreit um die Entlohnung der Hafenarbeiter nochmals den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen. Sie hatten bereits im Juni zweimal die Abfertigung von Schiffen lahmgelegt, zuletzt am 23. Juni für 24 Stunden. Ähnliche Streikaktionen gab es in Deutschland zuletzt vor mehr als vier Jahrzehnten.
Die Auswirkungen des Warnstreiks auf die Abfertigung der Container- und Frachtschiffe dürften erheblich sein und das Be- und Entladen weitgehend zum Erliegen bringen. Damit verschärft sich die ohnehin gespannte Lage mit einem Schiffsstau auf der Nordsee weiter und die Abläufe an den Kaikanten dürften noch weiter aus dem Tritt geraten. Die größte deutsche Containerreederei Hapag-Lloyd hatte ihre Kunden bereits am Vortag gewarnt, dass an den Containerterminals für zwei Tage voraussichtlich nichts mehr gehen wird.
Die Verhandlungsführerin des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS), Ulrike Riedel, nannte den Streikaufruf «unverantwortlich». Während Verdi bislang stets von Warnstreiks spricht, heißt es beim ZDS, bei einen zweitägigen Ausstand könne «nicht mehr von einem Warnstreik gesprochen werden».
Versorgung der Wirtschaft gefährdet
Die Chefin des Hamburger Hafenlogistikers HHLA sagte der Wochenzeitung «Die Zeit»: «Arbeitskampfmaßnahmen gefährden in der aktuellen Situation die Versorgung der deutschen Wirtschaft.» Jede weitere Verzögerung in der Abfertigung bedeute eine Verschärfung der Versorgungslage von Verbrauchern und Unternehmen in Deutschland, hieß es bei der HHLA.
Coronabedingt herrscht im globalen Verkehr von Container- und Frachtschiffen ohnehin schon lange großes Durcheinander. Nach jüngsten Berechnungen am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) stecken in der Nordsee rund zwei Prozent der globalen Frachtkapazität im Stau. Derzeit warten rund 20 Frachter auf Ankerplätzen in der Deutschen Bucht auf Abfertigung, die meisten mit Ziel Hamburg.
Vor diesem Hintergrund haben die Logistiker am Donnerstag bei mehreren Arbeitsgerichten Einstweilige Verfügungen gegen den Ausstand beantragt. Entscheidungen über die Anträge sollten noch am selben Tag getroffen werden. Die Antragstellerinnen schätzen den Warnstreik als rechtswidrig ein, sagte eine Sprecherin des Arbeitsgerichts Hamburg. Die Sprecherin nannte das Hamburger Hafenlogistikunternehmen HHLA sowie deren Bremer Konkurrenten Eurogate.
HHLA will rechtliche Möglichkeiten ausschöpfen
HHLA betreibt in Hamburg drei Containerterminals, ein weiteres Containerterminal im größten deutschen Seehafen wird von Eurogate betrieben. Die HHLA wollte sich nicht näher zu dem Verfahren äußern. «Wir schöpfen die rechtlichen Möglichkeiten aus», sagte eine Sprecherin lediglich. Auch in Niedersachsen, Bremen und Bremerhaven laufen vergleichbare Verfahren. Seitens der Gewerkschaft lag zunächst keine Stellungnahme vor.
Verdi ist mit einem Forderungspaket angetreten, das nach eigener Aussage je nach Lohngruppe bis zu 14-prozentige Entgelterhöhungen bei einer Laufzeit von 12 Monaten bedeuten würde. Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) hat nach mehrfachen Nachbesserungen zuletzt ein «finales Angebot» auf den Tisch gelegt, das er mit einem Volumen von bis zu 12,5 Prozent beziffert und für konventionelle Betriebe mit 9,6 Prozent – allerdings bei einer Laufzeit von 24 Monaten. Verdi hält das Angebot für ungenügend, weil es das Inflationsrisiko im zweiten Jahr der Laufzeit einseitig auf die Schultern der Beschäftigten verlege. Der bislang letzte Verhandlungsanlauf der Tarifparteien endete am Mittwochabend nach mehr als acht Stunden ohne Ergebnis.