Harry Styles hat seinen ganz eigenen Stil. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jordan Strauss/Invision/AP/dpa)

Liegt es daran, dass er Spitzenkragen trägt, Nagellack und Perlenketten? Oder an seinen sehr eingängigen Popsongs? Daran, dass er mal in einer Casting-Boyband sang? Oder in erfolgreichen Filmen mitspielt? Wahrscheinlich an allem.

Harry Styles ist jedenfalls einer der gefragtesten Popstars der Welt. Bringt er neue Musik raus, schießt sie an die Spitze der Charts und bricht Rekorde. Jüngst etwa seine neue Single «As It Was», die seiner Plattenfirma Sony zufolge mit 8,3 Millionen Streams den Rekord für das meistgespielte Lied an einem Tag eines männlichen Künstlers brach.

Jetzt erscheint sein drittes Soloalbum «Harry’s House», und man kann davon ausgehen, dass es wieder sehr erfolgreich sein wird. Und auch dieses Mal liegt es nicht nur daran, dass Styles ein (Ex-Teenie-)Superstar ist. Sondern auch an der guten Popmusik. Ungewohnt basslastig ist es dieses Mal, groovy und voller Synthie-Elemente. Einige Hits sind darunter, die einen schon nach dem ersten Hören nicht mehr verlassen.

Boyband-Image abgelegt

Styles, 1994 im englischen Redditch geboren, hat es schon vor einigen Jahren geschafft, sich vom Boyband-Mitglied zu einem ernsthaften Songwriter zu mausern. Er hat sich dafür intensiv mit der Pop- und Rockmusikgeschichte beschäftigt. Seine ersten beiden Alben erinnerten zum Beispiel öfter an seine großen Lieben Fleetwood Mac und Elton John.

Auch «Harry’s House» ist an der Popgeschichte geschult. Funky Upbeat-Nummern erinnern manchmal an a-ha («As It Was») oder Queen («Late Night Talking», «Cinema»). Auch die typischen Styles-Balladen gibt es. Diesmal mischen sich aber selbst unter die akustik-gezupften Gitarrensongs dräuende Synthesizer.

Weil die Produktion flächig und maximalistisch ist und ein fetter Groove oft alles zusammenhält, könnte man sogar an Hits wie «Blurred Lines» denken. Mit einem großen Unterschied: Styles, der auf seinem neuen Cover in Rüschenbluse zu sehen ist, sieht sich anders als «Blurred Lines»-Sänger Robin Thicke eher nicht mit Macho-Vorwürfen konfrontiert.

Androgyn und sensibel

In der Öffentlichkeit inszeniert sich der Brite gerne androgyn, spricht über seine Sensibilität oder jüngst auch über die Tatsache, dass er eine Therapie mache. Als er vor ungefähr fünf Jahren damit angefangen habe, habe er sich erst gesträubt, weil es so ein Klischee in der Musikszene sei, erzählte er kürzlich in einem Interview des Magazins «Better Homes and Gardens». «Ich dachte, es heißt, du bist kaputt», sagte er. «Ich wollte derjenige sein, der sagen kann, dass er es nicht braucht.» Schließlich habe er aber gemerkt, dass die Therapie «Räume in ihm öffne», von denen er nicht wusste, dass sie existierten, und die ihm ermöglichten, Dinge authentischer zu erleben.

Dass das in einer Generation von Millenials, die in den Sozialen Netzwerken über ihre mentale Gesundheit, Ängste und Depressionen sprechen, gut ankommt, dürfte klar sein. Styles ist der Popstar, der genau weiß, wie und dass er in unsere Zeit passt: Sensibel, Geschlechterrollen hinterfragend, irgendwie authentisch wirkend.

Auf Instagram postet er Storys, die sich für ein liberales Abtreibungsgesetz aussprechen. In der US-Ausgabe der «Vogue» ist er nicht nur der erste Mann, der alleine (in einem Frauenkleid) auf dem Cover abgebildet ist, sondern spricht auch darüber, wie gern er meditiere.

An Harry Styles lässt sich erkennen: Die Rolle eines Popstars verändert sich. Mussten sie früher noch fehlerfrei und allzeit verfügbar auftreten, inszenieren sie nun vor allem ihre Makel und Verletzlichkeit.

«Ich glaube, wir befinden uns an einem Moment der Reflexion», sagte Styles in «Better Homes and Gardens». «Du blickst zurück, gerade jetzt, während es die ganzen Dokus gibt, zum Beispiel über Britney Spears, und siehst, wie diese Menschen missbraucht wurden durchs System, vor allem Frauen. Du liest fünf Jahre alte Artikel und denkst dir: «Ich kann es nicht fassen, dass das geschrieben wurde.»

«Warum schäme ich mich?»

Als Mitglied der Casting-Boyband One Direction habe er Probleme damit gehabt, nicht alle Erwartungen zu erfüllen – etwa in Bezug auf sein Dating-Leben, von dem natürlich niemand wissen sollte. Teeniestars haben nach außen hin verfügbar zu sein, für ihre Fans. «Ich habe mich so dafür geschämt, dass die Leute wussten, dass ich Sex habe, ganz zu schweigen davon, mit wem.» Doch nach einer Weile habe er das überwunden. «Ich glaube, ich kam schließlich an einen Punkt in meinem Leben, wo ich mich fragte: Warum schäme ich mich? Ich bin ein 26 Jahre alter Mann, der Single ist; also, ja, ich habe Sex.»

Es scheint, die Popstars von heute gewinnen die Kontrolle über ihr Leben zurück – zumindest ein bisschen. Und so ist auch «Harry’s House» nicht zuletzt als ein musikalischer Befreiungsschlag zu verstehen.

Von Lisa Forster, dpa

Von