Erstmals wird die documenta in Kassel von einem Kunstkollektiv kuratiert. Auch deswegen ist die Spannung groß beim Blick auf die wichtigste Präsentation von Gegenwartskunst.
Noch vor der offiziellen Eröffnung an diesem Samstag gibt es nun viel Lob von einschlägig erfahrenen Seiten.
Die Berliner Museumschefs Sam Bardaouil und Till Fellrath erwarten als Folge der documenta einen Wandel im Umgang mit Kunst. «Diese documenta wird die Weise ändern, wie wir Kunst sehen, was wir glauben, was eine Ausstellung darstellt», sagte Bardaouil der Deutschen Presse-Agentur in Kassel. Gemeinsam mit Fellrath leitet er den Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwartskunst, in Berlin. Beide sind auch Kuratoren der Biennale in Lyon im September und waren zudem mitverantwortlich für den erfolgreichen französischen Pavillon bei der diesjährigen Biennale in Venedig.
«Die documenta war immer ein Generator von neuem Denken über Kunst, der Art von Ausstellungen», sagte Bardaouil, «es gab verschiedene Ausgaben, die neue Zugänge geschaffen haben etwa zum Umgang mit Globalisierung.»
Wichtigste Präsentation von Gegenwartskunst
Die documenta gilt neben der Biennale in Venedig als wichtigste Präsentation von Gegenwartskunst. Kuratiert wird sie von der indonesischen Kunstgruppe Ruangrupa. 14 Kollektive, Organisationen und Institutionen sowie 54 Künstlerinnen und Künstler präsentieren bis zum 25. September ihre Werke an 32 Standorten.
Fellrath sieht sehr positive Energie in der Ausstellung. «Dieses warme Willkommen umarmt die Besucher. Mitunter ist nicht klar, wo die Kunst endet und an welcher Stelle man sich als Betrachter befindet», sagte er der dpa. «So wird Kunst zum Teil des Lebens und das ist der Geist, wie sie geschaffen wurde.» Das sei sehr packend. «Es geht nicht um irgendetwas, das im Museum hängt, sondern es bedeutet für die Menschen tatsächlich etwas.»
Bardaouil sprach von viel Großzügigkeit. «In vielen großen Ausstellungen ist die Stimme der Kuratoren sehr präsent. Hier werden sehr großzügig ganz viele Stimmen erlaubt, die jeweils in ihren Gemeinschaften und Gesellschaften verankert sind.» Die Ausstellung verlange, sich nicht auf das Kunstobjekt zu verlassen als etwas, was einfach konsumiert werden könne. «Ruangrupa hat die Heiligkeit der Objekte entfernt. So wird es den Geschichten dahinter erlaubt, tatsächlich Raum zu fassen.»
Rosenthal: «ganz begeistert»
Natürlich brauche es mehr Zeit, eine Geschichte zu erfassen, als nur ein Objekt anzuschauen. «Das ist die Herausforderung, in die Dinge einzutauchen und in die Schichten, die damit verbunden sind.» Es gehe nicht um fiktionale Annahmen, sondern um wirkliche Menschen und Umgebungen, in denen die Künstler eingebunden seien. «So wird Kunst mehr als Kunst, sie wird zum Medium.»
Auch die Direktorin des Berliner Gropius Baus, Stephanie Rosenthal, zeigte sich «ganz begeistert» von einem ersten Rundgang. Zu sehen sei, «dass eine Ausstellung auf so einem hohen Niveau in so einer Kollektivität entstehen kann», sagte sie der dpa in Kassel.
Rosenthal, 2019 Juryvorsitzende der Kunstbiennale in Venedig, zeigte sich «sehr überzeugt, weil man merkt, dass es eine gemeinsame Geisteshaltung gibt». Die documenta sei eine sehr einheitliche Ausstellung geworden, was erstmal erstaunlich sei. «Man hat wirklich das Gefühl, dass hier zusammengearbeitet wurde und es ein gemeinsames Interesse gibt.»
«Ich finde es eine fantastische Arbeit, sehr gut installiert und auch ein gutes Gemisch zwischen Künstlerinnen, von denen man noch nie gehört hat und großen Namen, die aber nicht als Marketingnummer verwendet werden.» Als Beispiel nannte Rosenthal den Ausstellungsort Ottoneum, wo nach der «Cheescoins»-Arbeit des Kollektivs Inland Hito Steyerls «Animal Spirits» zu finden sei. Steyerl zählt zu den international wichtigsten Künstlerinnen. «So große Namen, die könnten ja auch oben vorne stehen», sagte Rosenthal, die zum 1. September als Direktorin zum Guggenheim Abu Dhabi Project in die Vereinigten Arabischen Emiraten wechselt.