Historische Dax-Reform: Zehn Unternehmen rücken auf. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Boris Roessler/dpa)

Seit Wochen wird gerechnet, nun stehen die zehn neuen Dax-Mitglieder fest. Vom 20. September an spielen 40 Konzerne in der ersten deutschen Börsenliga. Wer im Deutschen Aktienindex bleiben will, muss künftig noch strengere Regeln erfüllen.

Die historische Reform der Dax-Familie gut 33 Jahre nach dem Start des Dax am 1. Juli 1988 hatte die Deutsche Börse im vergangenen Jahr nach dem Wirecard-Desaster beschlossen. Ziel ist auch, die deutsche Wirtschaft repräsentativer abzubilden.

Unter den zehn Dax-Neulingen, die die Deutsche Börse am Freitagabend bekanntgab, ist Airbus das Unternehmen mit dem mit Abstand größten Börsenwert. Mit dem deutsch-französischen Flugzeughersteller bekommt der deutsche Leitindex ein weiteres Schwergewicht auf dem Niveau des Autoherstellers Daimler oder des Versicherungsriesen Allianz.

Neu auf dem von 30 auf 40 Titel verlängerten Kurszettel des Dax stehen vom 20. September an außerdem die folgenden neun Unternehmen: der Chemikalienhändler Brenntag, der Kochboxenlieferant Hellofresh, die Holdinggesellschaft Porsche, der Sportartikelhersteller Puma, das Biotechnologie- und Diagnostikunternehmen Qiagen, der Pharma- und Laborzulieferer Sartorius, der Medizintechnikkonzern Siemens Healthineers, der Aromen- und Duftstoffehersteller Symrise sowie der Online-Modehändler Zalando. Viele der Dax-Aufsteiger erklärten, sie rechneten mit Rückenwind für ihr Geschäft. Im Gegenzug wird der MDax der mittelgroßen Werte von 60 auf 50 Titel verkleinert.

«Grundsätzlich ist die Dax-Erweiterung sehr sinnvoll», sagte der Darmstädter Wirtschaftsprofessor Dirk Schiereck der Deutschen Presse-Agentur. «Wenn man sich in Europa andere Aktienmärkte anschaut, sind die dortigen Leitindizes alle größer, obwohl diese Volkswirtschaften kleiner sind als die deutsche. Das allein zeigt, dass ein Index mit 30 Mitgliedern die deutsche Volkswirtschaft nicht angemessen abbildet.» Der Experte für Unternehmensfinanzierung ergänzte: «Wenn es wieder mehr Börsengänge gibt und der Kurszettel deutlich anwachsen sollte, wäre 40 aber sicher nicht das Ende. Da kann man sich auch einen Dax 50 vorstellen.»

Mehr Frauen im Top-Positionen

Nach Darstellung des Personalberaters Russel Reynolds bekommt die positive Entwicklung der letzten Jahre zu mehr Frauen im Top-Management und in den Aufsichtsräten durch die Erweiterung einen deutlichen Dämpfer. Die Dax-40-Aufsteiger verringerten die Frauenquote in Vorständen und Aufsichtsräten, die Arbeitnehmer-Mitbestimmung sinke zudem auf einen Tiefststand.

Demnach fällt der durchschnittliche Frauenanteil in den Dax-Vorständen von 19 auf 17,6 Prozent. Denn fünf der 10 Aufsteiger hätten keine Frau im Vorstand. Auch in den Aufsichtsräten gehe die Frauenquote erstmals seit mehr als zehn Jahren wieder zurück – von zuletzt 34 auf jetzt 33 Prozent. Zudem seien 30 Prozent der Dax-40-Aufsichtsräte jetzt ohne paritätische Mitbestimmung. 2015 seien noch alle Dax-Unternehmen mitbestimmt gewesen. Die Neulinge sorgten aber zugleich für einen Schub bei der Internationalisierung.

Lange wurde der Dax, dessen Kurse Abend für Abend zur besten TV-Sendezeit in deutsche Wohnzimmer flimmern, von den vier Branchen Chemie, Autoindustrie, Energie, Finanzdienstleistungen dominiert. Nun soll die Mischung ausgewogener werden und zum Beispiel auch aufstrebenden Internetfirmen einen Platz im Schaufenster der deutschen Wirtschaft sichern.

«Gemessen an der Gesamtstruktur der deutschen Wirtschaft wird es im Dax weiterhin über- und untergewichtete Branchen geben. Was wir sehen, ist eine vorsichtige Readjustierung der branchenmäßigen Zusammensetzung», befand Schiereck. «Viele Mittelständler sind auch gar nicht so böse darum, dass sie kein Dax-Unternehmen sind. Man steht nicht so sehr im Schaufenster, und es ist immer noch schöner, König im MDax oder SDax zu sein, als Schlusslicht im Dax.»

MDax verliert an Gewicht

Allerdings verliert der MDax als zweite Börsenliga nach Ansicht von Experten deutlich an Gewicht. Die dortigen Abgänge machten rund 45 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung des Index der mittelgroßen Werte aus, rechnete das Deutsche Aktieninstitut vor. «Diese Lücke wieder zu schließen, ist nicht so einfach», hatte Institutschefin Christine Bortenlänger am Donnerstag erklärt. Die nächste Bundesregierung müsse Börsengänge in Deutschland attraktiver machen.

Die Zusammensetzung des Dax will die Deutsche Börse künftig zweimal statt einmal jährlich regulär überprüfen. Neu aufgenommen werden sollen nur noch profitable Unternehmen. Pleitekandidaten und Konzerne, die ihrer Pflicht zur fristgerechten Veröffentlichung von Zwischenberichten nicht nachkommen, sollen nichts mehr in der ersten deutschen Börsenliga verloren haben.

Mit der Verschärfung der Regeln für die Dax-Familie reagiert der Frankfurter Marktbetreiber auf den Wirecard-Skandal. Der Münchener Zahlungsdienstleister hatte sich trotz milliardenschwerer Luftbuchungen, die im Sommer 2020 aufflogen, noch über Monate im Dax halten können, weil die Regeln einen raschen Rauswurf aus dem Leitindex nicht zuließen. Für Kritik sorgte auch, dass für Wirecard der Essenslieferant Delivery Hero in den Dax aufrückte und damit ein Unternehmen, das seit seiner Gründung 2011 im laufenden Geschäft noch nie Geld verdient hat.

Trotz der zehn neuen Unternehmen gibt es keine Auswirkungen auf den aktuellen Punktestand des Leitindex. Nur das Gewicht der einzelnen Aktien ändert sich. Die bisherigen 30 Mitglieder verlieren zugunsten der Neuaufnahmen einen Teil ihres Gewichts.

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