Die Agrarminister der sieben großen Industrienationen (G7) beraten am Freitag über die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die weltweite Ernährungssicherung – denn die Effekte können Experten zufolge weitreichend sein.
Was für Auswirkungen hat der Konflikt auf die Ernährungssicherheit in verschiedenen Regionen der Welt? Ein Überblick.
Bei welchen Lebensmitteln könnte es Engpässe geben?
Die Organisation Germanwatch warnt vor Engpässen bei der globalen Versorgung mit Getreide und Ölsaaten. Die Ukraine gilt als eine «Kornkammer Europas». In der EU sind einzelne Länder wie Frankreich oder Deutschland zwar ebenfalls große Akteure auf dem internationalen Getreidemarkt, doch die geernteten Mengen in und Exporte aus der Ukraine können die Preise weltweit beeinflussen. Weitere wichtige Agrarexporte aus der Ukraine sind Mais, Raps und Sonnenblumen.
Wo könnten sich die Folgen bemerkbar machen?
Vor allem in der arabischen Welt und in einigen Ländern Asiens und Afrikas dürfte der Krieg in der Ukraine spürbare Auswirkungen haben. Ägypten, Tunesien, Marokko etwa oder auch Bangladesch importieren große Teile ihres Weizens aus Russland und der Ukraine. Germanwatch warnt daher davor, dass es in ärmeren Ländern zu Hungersnöten und gesellschaftlichen Verwerfungen kommen könnte.
Auch die Lage in den ohnehin schon von Krisen und Hunger geplagten Ländern Jemen, Syrien und Libanon wird sich nach Angaben der Weltbank nun noch einmal deutlich verschärfen. Sie sind ebenfalls dringend auf Weizenimporte aus der Ukraine und Russland angewiesen. Die Welthungerhilfe rechnet mit einer zunehmenden Zahl Hungernder. Indonesiens Präsident Joko Widodo warnte unter anderem vor Lebensmittelknappheit wegen des Kriegs. Allerdings: «Die Ukraine wird mit Abstand am meisten betroffen sein», sagt Agrar-Expertin Verena Laquai vom bundeseigenen Thünen-Institut.
Wie steht es um die Ernährungssicherheit in Deutschland?
Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) hat schon klar gemacht, dass die Lebensmittelversorgung in Deutschland und der EU sicher sei. Preise im Supermarkt könnten aber weiter steigen. Dabei haben Rohstoffkosten etwa bei Brot und Brötchen kleinen Anteil am Preis, steigende Energiepreise sind bei anderen Produkten deutlich relevanter. Ackerbauern können bei hohen Weltmarktpreisen derzeit mehr für ihr Getreide bekommen – damit wird aber auch Tierfutter teurer. Sorgen machen vielen Höfen zudem drastische Preissprünge für Stickstoffdünger.
Wer könnte Versorgungslücken schließen?
Kurzfristig könnten mögliche Versorgungslücken durch große Exporteure gedeckt werden, sagt Laquai. Längerfristig gehe dies durch eine erhöhte Produktion in allen Teilen der Welt. Es gebe Schätzungen, dass wegen der Kriegsfolgen drei Millionen Tonnen weniger Weizen aus Russland und vier Millionen Tonnen weniger Weizen aus der Ukraine exportiert würden. «Insbesondere Australien und Argentinien hatten eine sehr gute Ernte und können somit mehr exportieren», so die Expertin. Auch die EU könnte durch gute Ernten mehr exportieren. Umweltorganisationen und Politiker kritisieren zudem, dass Getreide in sehr großen Mengen in Futtertrögen landet.
Der zweitgrößte Weizenproduzent der Welt, Indien, exportiert bislang nach Regierungsangaben weniger als ein Prozent der Ernte. Grund: Die indische Regierung legt einen Minimalpreis für Weizen fest, der lange über dem internationalen Weizenpreis lag. Dies sei jetzt allerdings angesichts der wegen der Ukraine-Krise gestiegenen Preise anders, sagte der Chef der Agricultural and Processed Food Products Export Development Authority, Tarun Bajaj, der Deutschen Presse-Agentur.
Welche politische Bedeutung hat das Thema Ernährung?
Auf Ernährungsunsicherheit folgt häufig politische Instabilität. Steigende Lebensmittelpreise gelten auch als einer der Auslöser des sogenannten Arabischen Frühlings. Im Irak und der Türkei protestierten in den vergangenen Wochen bereits viele Menschen gegen die Preiserhöhungen für Lebensmittel. Experten halten auch neue Flüchtlingsbewegungen als Folge des zunehmenden Hungers für möglich.
Muss auch die deutsche Agrarpolitik umsteuern?
Der Krieg hat den Streit über eine ökologische Wende der Landwirtschaft neu entfacht. Die oppositionelle Union im Bundestag forderte, Versorgungssicherheit müsse einen höheren Stellenwert haben – und dazu gehöre, dass man die begrenzte Agrarfläche in Europa intensivieren müsse. SPD-Expertin Susanne Mittag warnte etwa mit Blick auf Dünge-Auflagen: «Der Krieg in der Ukraine darf nicht zum Anlass für eine Rolle rückwärts in der Agrarpolitik missbraucht werden.» Ähnlich sieht das EU-Kommissar Frans Timmermans. Die Agrarpolitik in der EU wird auch maßgeblich in Brüssel gestaltet.
Worüber sprechen die G7-Agrarminister?
Özdemir will im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft über die weitreichenden Auswirkungen beraten. Konkret geht es um die weltweite Ernährungssicherung und die Frage, wie die Märkte weiter offengehalten und stabilisiert werden können. An der Videokonferenz teilnehmen sollen auch der ukrainische Ressortchef Roman Leschenko und internationale Organisationen. Bauernpräsident Joachim Rukwied appellierte an die G7, dass die Ernährungssicherheit in betroffenen Ländern gewährleistet bleiben müsse.