Edward Berger ist «ein bisschen überwältigt» – und das mit gutem Grund: sein Antikriegsdrama «Im Westen nichts Neues» holte sensationelle neun Oscar-Nominierungen. Als in Hollywood im Morgengrauen die Kandidaten für die 95. Oscar-Gala verkündet wurden, hörte der deutsche Regisseur aus Italien mit zu. Berger, zu Dreharbeiten in Rom, konnte sich über eine seltene Doppelnominierung in der Topsparte «Bester Film» und als bester internationaler Film freuen.
Nach Angaben der Oscar-Akademie ist «Im Westen nichts Neues» erst der achte nicht-englischsprachige Film überhaupt, der es gleichzeitig in beiden Kategorien schaffte. Die südkoreanische Satire «Parasite» schrieb 2020 Oscar-Geschichte, als sie diese beiden Trophäen auch gewann. Er sei «wahnsinnig froh und stolz drauf», diese kleine Schallmauer durchbrochen zu haben, sagte Berger der Deutschen Presse-Agentur am Dienstagnachmittag am Telefon.
Elf Nennungen für «Everything Everywhere All at Once»
Mehr Nominierungen als «Im Westen nichts Neues» bekam nur die schräge Science-Fiction-Komödie «Everything Everywhere All at Once» mit elf Nennungen. Die Tragikomödie «The Banshees of Inisherin» liegt mit neun Oscar-Chancen Kopf-an-Kopf. Acht Mal ist das Biopic «Elvis» vertreten, sieben Mal Steven Spielbergs autobiografisches Werk «The Fabelmans». «Top Gun: Maverick» und «Tár» kommen auf sechs Nennungen, «Black Panther: Wakanda Forever» auf fünf. James Camerons «Avatar» ist vier Mal auf der Liste. Die als bester europäischer Film des Jahres ausgezeichnete Satire «Triangle of Sadness» des Schweden Ruben Östlund geht in drei Kategorien ins Rennen – darunter beste Regie und bester Film.
Vor dem Nominierungs-Triumph von «Im Westen nichts Neues» war «Das Boot» 1983 als deutscher Film mit den meisten Oscar-Anwartschaften gefeiert worden. Das Kriegsdrama von Wolfgang Petersen (1941 – 2022) war sechsmal nominiert, für Regie, adaptiertes Drehbuch, Kamera, Schnitt, Sound und Tonschnitt. Bei der Trophäenverleihung ging «Das Boot» aber gänzlich leer aus. «Gandhi» war damals mit acht Oscars der Abräumer des Abends.
Das Filmteam von «Im Westen nichts Neues» kann nun auch in diesen Sparten auf Oscar-Gold hoffen: Kamera, Make Up & Hairstyling, Produktionsdesign, Sound, visuelle Effekte und adaptiertes Drehbuch. Zudem wurde der deutsche Komponist Volker Bertelmann, auch unter dem Künstlernamen Hauschka bekannt, für seine eindringliche Filmmusik nominiert.
Das Grauen des Krieges
«Im Westen nichts Neues» nach der Buchvorlage von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1929 zeigt das Grauen des Ersten Weltkriegs aus der Sicht eines jungen Soldaten. Die Hauptrolle spielt der Österreicher Felix Kammerer.
«Ich habe das Buch so empfunden, dass es unheimlich lakonisch, mit so einer gewissen Distanz erzählt wurde und uns trotzdem in die Schuhe der Hauptfigur versetzt», sagte Berger. Diesen Ton hätten sie versucht einzufangen. Sie hätten versucht, den Zuschauer praktisch am Revers zu packen, durch den Matsch zu zerren und ihm oder ihr das Gefühl zu geben, subjektiv mit Paul Bäumer, der Hauptfigur, zu erleben.
Deutschlands letzter Erfolg im Rennen um den sogenannten Auslands-Oscar liegt über 15 Jahre zurück: 2007 gewann Florian Henckel von Donnersmarcks Stasi-Drama «Das Leben der Anderen» die begehrte Trophäe.
Ein weiterer deutscher Filmschaffender kann in diesem Jahr auf einen Oscar hoffen – Florian Hoffmeister ist für seine Kameraarbeit bei dem Drama «Tár» nominiert. Cate Blanchett, die darin eine fiktive Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker namens Lydia Tár spielt, ist als beste Schauspielerin im Rennen.
Weitere Schauspieler und Schauspielerinnen mit Oscar-Chancen sind unter anderem Michelle Yeoh («Everything Everywhere All at Once»), Ana de Armas («Blond»), Colin Farrell («The Banshees of Inisherin»), Austin Butler («Elvis») und Brendan Fraser («The Whale»).
Die 95. Oscar-Verleihung im Dolby Theatre in Hollywood ist für den 12. März geplant. Der US-Moderator Jimmy Kimmel soll zum dritten Mal bei der Oscar-Gala als Gastgeber auf der Bühne stehen.