IOC-Präsident Thomas Bach hat Mitgefühl für Kamila Walijewa nach deren bitterem Olympia-Finale geäußert und das Umfeld mit der Trainerin der russischen Eiskunstläuferin scharf kritisiert.
«Als ich gesehen habe, wie sie von ihrem Umfeld empfangen wurde, mit etwas, was mir wie eine enorme Kälte vorkam – mir lief es kalt über den Rücken, zu sehen, was da geschah», berichtete Bach. «Statt sie zu trösten, statt ihr zu helfen, nachdem was geschehen war, konnte man spüren wie eiskalt die Atmosphäre war. Solch eine Distanz zu erleben, wenn man sich nur die Körpersprache dieser Person angeschaut hat, hat sich das nur noch in der Vorstellung verschlimmert.»
Vierte im Olympia-Finale
Nach dem tagelangen Doping-Wirbel und einer Führung aus dem Kurzprogramm hatte Gold-Favoritin Kamila Walijewa mehrere Fehler in ihrer Kür gemacht und war Vierte geworden. Von ihrer Trainerin Eteri Tutberidse erhielt die 15-Jährige daraufhin keinen Trost, sondern harsche und verstörende Worte. «Warum hast du alles so aus den Händen gegeben? Warum hast du aufgehört zu kämpfen» Erklär mir das!», sagte die wegen ihrer harten Methoden bekannte Tutberidse, wie auf Videos zu hören war.
Er sei «sehr enttäuscht und verstört» gewesen, als er die Eiskunstlauf-Kür im Fernsehen verfolgt habe, berichtete Bach und sprach von einer «herablassenden Geste». «Kann man denn so gefühlskalt sein gegenüber den eigenen Sportlern?» Er habe sich seine Gedanken gemacht, sagte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees. «Alles das vermittelt bei mir kein besonderes Vertrauen in dieses Umfeld von Kamila – weder in Bezug auf die Situation, die in der Vergangenheit sich abgespielt hat, noch die Zukunft.»
Auch DOSB-Präsident Thomas Weikert hält das Verhalten der Walijewa- Betreuer für fragwürdig. «Für mich war es sehr verstörend, die Bilder von Kamila Walijewa gestern Abend zu sehen, insbesondere die kalte, unempathische Reaktion ihrer Trainerin im Anschluss», sagte der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes.
Bach stellte die Frage, wie man mit minderjährigen Athleten im Alter von 15 Jahren zukünftig umgehen werde und sprach die Situation von Walijewa noch einmal konkret an. «Ich kann mir für sie nur wünschen, dass sie die Unterstützung bekommt, die Unterstützung ihrer Familie, die Unterstützung von Freunden und schlussendlich von Menschen, die ihr helfen, diese enorm schwierige Situation hinter sich zu lassen.»
Ein positiver Dopingtest Walijewas vom 25. Dezember war erst während der Winterspiele in Peking bekannt geworden. Die Cas-Richter erlaubten ihr dennoch mit Blick auf ihren Status als Minderjährige und das nicht abgeschlossene Dopingverfahren einen Start im olympischen Damen-Einzel.
IOC will Diskussion über Mindestalter im Top-Sport
Als Konsequenz aus dem Skandal drängt das IOC die Weltverbände zur Prüfung eines generellen Mindestalters im Spitzensport. «Diese Fragen müssen angegangen werden», sagte Bach. Es brauche aber «sorgfältige Überlegungen und Beratungen». Das IOC werde die Diskussionen mit den Weltverbänden in Gang bringen und diesen «etwas zum Nachdenken geben», sagte Bach. Entscheiden können aber nur die jeweiligen Fachverbände, nicht das IOC.
Auch die Welt-Anti-Doping-Agentur müsse den Umgang mit Minderjährigen und ihrem Status der «geschützten Person» überprüfen, sagte Bach. Er stelle sich grundsätzlich die Frage, wie man mit minderjährigen Athleten zukünftig umgehen werde. Bislang gibt es nur in wenigen olympischen Sportarten wie im Turnen ein Mindestalter für Teilnehmer.
Schon 2014 in Sotschi hatte ihre Schülerin Julia Lipnizkaja als damals 15-Jährige als jüngste Eiskunstläuferin Team-Gold gewonnen. Drei Jahre später beendete sie ihre Karriere wegen Magersucht. Die heute 19-jährige Alina Sagitowa, die im Alter von 15 Jahren 2018 in Pyeongchang Einzel-Gold holte, tritt schon seit längerem nicht mehr bei Wettkämpfen an.
Walijewa will B-Probe öffnen lassen
Die russische Eiskunstläuferin will nun mithilfe der B-Probe ihre Unschuld beweisen. Die 15-Jährige werde die Untersuchung der B-Probe beantragen, da unter anderem ein technischer Fehler des Stockholmer Anti-Doping-Labors bei der Analyse ihres Dopingtests vorgelegen haben könne, erklärten Walijewas Anwälte. Dies geht aus der 41-seitigen Urteilsbegründung für das Eilverfahren in dem Fall hervor, die der Internationale Sportgerichtshof Cas veröffentlichte.
In ihrer Verteidigung verwiesen Walijewas Rechtsbeistände auf die «extrem niedrige Konzentration» des gemäß Anti-Doping-Regeln verbotenen Herzmittels Trimetazidin, das in der A-Probe nachgewiesen worden war. Bei Dopingkontrollen geben Athleten Urin ab, der zu zwei Dritteln in eine A-Probenflasche gefüllt wird. Der Rest bildet die B-Probe.
War Opas Herzmittel Schuld?
Detailliert ist in dem Urteil der Versuch der Anwälte nachzulesen, den positiven Test mit dem Kontakt Walijewas zu ihrem herzkranken Großvater zu begründen. Dabei sei die verbotene Substanz durch eine Verunreinigung unabsichtlich in den Körper der Athletin gekommen.
Walijewas Opa habe sie oft zum Training gefahren und viel Zeit mit ihr verbracht. Nach einer Herztransplantation nehme er regelmäßig Trimetazidin ein und trage die Medizin meist bei sich. Als Beweismittel diente auch ein Video, das den Großvater in seinem Auto mit einer Packung des Medikaments zeigen soll.