Der Volkswirt Joachim Nagel soll neuer Präsident der Bundesbank werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) schlugen den 55-Jährigen für die Nachfolge von Jens Weidmann vor, wie Lindner am Montag auf Twitter bekanntgab.
Zuvor hatten das «Handelsblatt» und der «Spiegel» über die Personalie berichtet. Die Besetzung muss vom Kabinett noch endgültig beschlossen werden. Das werde voraussichtlich an diesem Mittwoch passieren, sagte ein Regierungssprecher. Nagel soll zum 1. Januar die Arbeit aufnehmen.
Weidmann hört aus persönlichen Gründen auf
Weidmann hatte im Oktober angekündigt, dass er nach mehr als zehn Jahren im Amt zum 31. Dezember aus persönlichen Gründen zurücktritt. Nagel, der SPD-Mitglied ist, saß bereits von 2010 bis 2016 im Vorstand der Bundesbank, ging danach zur Förderbank KfW und arbeitet zurzeit bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die auch als Zentralbank der Zentralbanken bekannt ist. Er studierte Volkswirtschaft in seiner Geburtsstadt Karlsruhe und promovierte an der dortigen Universität.
Lindner betonte, angesichts von Inflationsrisiken wachse derzeit die Bedeutung einer stabilitätsorientierten Geldpolitik. Nagel sei «eine erfahrene Persönlichkeit, die die Kontinuität der Bundesbank sichert». Nagel stehe für geldpolitische Stabilität, die Besetzung sei ein «gutes Signal an die deutsche Bevölkerung wie auch nach Europa».
Bankenverbände und Volkswirte begrüßten Nagels Nominierung. Damit komme «ein Experte mit langjähriger Notenbankerfahrung und ausgezeichneter Kenntnis der Finanzmärkte an die Spitze der deutschen Zentralbank», befand der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing. Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis äußert sich überzeugt, dass die Bundesbank mit Nagel an der Spitze «ihre Tradition einer stabilitätsorientierten Geldpolitik fortführen» werde.
Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) forderte Nagel ebenfalls auf, den stabilitätsorientierten Kurs der Bundesbank fortzusetzen. «Ich setze auch darauf, dass der designierte neue Bundesbankpräsident den Fehlentwicklungen der ultralockeren Geldpolitik im Euroraum entschlossen entgegentritt», erklärte er. Die Europäische Zentralbank (EZB) weiche die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik zunehmend auf, großangelegte Käufe von Staatsanleihen müssten aufhören.
Auch Weidmann, ehemals Wirtschaftsberater der langjährigen Bundeskanzlerin Angela Merkel, äußerte sich immer wieder kritisch zur seit Jahren ultralockeren Geldpolitik der EZB. Vor allem milliardenschwere Anleihenkäufe sah er mit Skepsis und warnte, die Notenbank dürfe die Regierungen nicht vom billigen Zentralbankgeld abhängig machen.
Angesichts der steigenden Teuerung mahnte Weidmann, Europas Währungshüter sollten das Risiko einer zu hohen Inflation nicht ignorieren und nicht zu lange an ihrem sehr expansiven Kurs festhalten. Durchsetzen konnte sich Weidmann mit seiner Haltung oft nicht. Denn im EZB-Rat haben die Anhänger einer eher lockeren Geldpolitik die Mehrheit.
Der Bundesbank-Präsident ist an den Entscheidungen des obersten Entscheidungsgremiums der Zentralbank zwar beteiligt, hat aber wie die Vertreter der anderen 18 Euroländer nur eine Stimme – auch wenn Deutschland Europas größte Volkswirtschaft ist.
Hoffnungen für Sparerinnen und Sparer
Die Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Marija Kolak, verknüpft mit Nagels Berufung unter anderem die Hoffnung, dass sich die Bundesbank im EZB-Rat «im Sinne der Sparerinnen und Sparer für ein baldiges Ende der Minuszinsen einsetzt».
Nach Einschätzung von Stefan Kooths, Konjunkturchef und Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW/Kiel), dürfte Nagel durchaus zu denjenigen gehören, «die Gegenargumente zur gegenwärtig ultra-expansiven Geldpolitik vorbringen». Doch Kooths schränkte ein: «Gleichzeitig ändert sich an den Mehrheitsverhältnissen im EZB-Rat mit der Berufung Nagels nichts. Die Befürworter der lockeren Geldpolitik können also der neuen Bundesbankspitze entspannt entgegensehen.» Die erste geldpolitische Sitzung des EZB-Rates im neuen Jahr ist für den 3. Februar angesetzt.