Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will derzeit keine Debatte über gesetzliche Verpflichtungen zum Energiesparen als Folge gedrosselter Lieferungen aus Russland führen.
«Ich bin kein Anhänger davon, jetzt einzelne Maßnahmen zu diskutieren, bevor ein Gesamtkonzept vorliegt», sagte der SPD-Politiker im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur auf die Frage, ob er über Maßnahmen nachdenke, mit denen man Energieeinsparungen auch in Privathaushalten erzwingen könnte. «Wichtig ist, dass wir uns auf alle Eventualitäten vorbereiten, um dann die jeweils richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt zu treffen.»
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schließt gesetzliche Maßnahmen zu Energieeinsparungen als Konsequenz der gesenkten Gaslieferungen dagegen nicht aus. Damit Gas möglichst in großem Umfang gespart werden kann, hatte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, eine gesetzlich vorgeschriebene Drosselung der Heizungstemperatur für Wohnungen ins Spiel gebracht. Der russische Staatskonzern Gazprom hatte den Gasfluss durch die Ostseepipeline Nord Stream in den vergangenen Tagen verringert.
Scholz: Drosselung der Gaslieferungen weiter beobachten
Scholz sagte auf die Frage, ob das der erste Schritt zu einem kompletten Lieferstopp sei: «Zunächst mal erleben wir gerade eine Drosselung der Gaslieferungen nach Deutschland und zu anderen westeuropäischen Ländern, die technisch begründet werden. Das kann Zufall sein, muss es aber nicht. Wir werden das weiter ganz genau beobachten und von unserer Seite alles tun, dass es keine technischen Gründe gibt für diese Drosselungen.»
Gazprom hatte die Drosselung mit Verzögerungen bei der Reparatur von Verdichterturbinen durch die Firma Siemens Energy begründet. Habeck stufte die Maßnahme als politisch motiviert ein.
Russland führt seit dem 24. Februar einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Bundesregierung ist bemüht, die Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Energien aus Russland so schnell wie möglich zu verringern.
Bundesnetzagentur-Chef Müller sieht in der Drosselung der Gaslieferungen eine klare Strategie Russlands. Er sagte am Samstag der dpa: «Russland liefert nun seit Tagen deutlich weniger Gas nach Deutschland und nach Europa. Das soll uns verunsichern und die Preise treiben. Deshalb organisiert die Bundesregierung zusätzliches Flüssiggas und das Gasspeichergesetz wirkt. Gas einsparen und einspeichern für den Winter ist jetzt das Gebot der Stunde.»
Lage der Gasversorgung in Deutschland «angespannt»
Die Bundesnetzagentur bezeichnete am Samstag die Lage der Gasversorgung in Deutschland erneut als «angespannt». Die Gasversorgung sei im Moment aber stabil, hieß es in einem Bericht. Die Versorgungssicherheit sei derzeit weiter gewährleistet. Die aktuellen Füllstände der Speicher in Deutschland liegen demnach bei rund 56,7 Prozent.
Am Freitag hatte die Netzagentur erstmals seit Ende März die Lage zur Gasversorgung in ihrem täglichen Bericht als «angespannt» bezeichnet. Zuvor hatte Gazprom die Gasflüsse durch die Pipeline Nord Stream 1 auf 40 Prozent der Maximalleistung gedrosselt.
Die Debatte über die Folgen hält an. Die «Wirtschaftsweise» Veronika Grimm sprach sich für Prämien für Hauhalte aus, die sparsam mit Gas umgehen. «Das könnte man durch den Vergleich der Gasrechnungen relativ einfach überprüfen, und die Leute würden sich jetzt schon – entsprechend ihrer Möglichkeiten – auf den Winter vorbereiten können», sagte das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der «Rheinischen Post».
«Bevor man zu gesetzlichen Einsparmaßnahmen greift, wie von Wirtschaftsminister Robert Habeck ins Spiel gebracht, sollte man die Potenziale heben, die durch Anreize möglich sind», sagte Grimm. Ohne drastische Energieeinsparungen würden die geringeren Gaslieferungen deutliche wirtschaftliche Spuren in Deutschland hinterlassen.
Die energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Nina Scheer, sagte der «Rheinischen Post», Energiesparen sollte belohnt werden. Wer es schaffe, beim Gasverbrauch einzusparen, solle direkt entlastet werden. Je höher die Einsparung beim Verbrauch, desto höher der Rabatt.
Industriepräsident: Vorerst stärker auf Kohleenergie setzen
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der dpa, es sei die oberste Aufgabe der Bundesregierung, eine gesicherte Energieversorgung zu gewährleisten. Es dürfe auf keinen Fall zu Rationierungen kommen. Er halte nichts von einer Pflicht zum Energiesparen. «Aber der sorgsame Umgang mit knappen Ressourcen, den die meisten Bürger bereits jetzt eigenverantwortlich entwickelt haben, ist natürlich immer sinnvoll.»
Industriepräsident Siegfried Russwurm rief dazu auf, vorübergehend wieder stärker auf Kohleenergie zu setzen. «Mein Appell ist: Jetzt schon die Gasverstromung stoppen und sofort die Kohlekraftwerke aus der Reserve holen», sagte Russwurm den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Es gehe um kurzfristige Überbrückungsmaßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung.
Das Bundeskabinett hatte einen Gesetzentwurf beschlossen, damit Kohlekraftwerke im Falle einer Gasmangellage kurzfristig in den Markt zurückkehren können, um den Gasverbrauch in der Stromerzeugung deutlich verringern zu können.