Der Film-, Opern- und Theaterregisseur Kirill Serebrennikow bei seiner Ankunft am Flughafen in Hamburg. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Fabian Hammerl/Thalia Theater/dpa)

Überraschende Wende im Fall Kirill Serebrennikow: Der russische Starregisseur durfte Russland verlassen und ist zu Proben am Hamburger Thalia Theater eingetroffen.

Das teilte das Thalia Theater am Montag mit. Hinter ihm liegen mehr als vier Jahre striktes Reiseverbot und zahlreiche Inszenierungen per Zoom und Video in ganz Europa. Seit Montag leite er die Proben seiner Inszenierung von Tschechows Erzählung «Der schwarze Mönch» am Thalia Theater.

Serebrennikow war im Sommer 2017 verhaftet und in Hausarrest gesetzt worden. Das von der Staatsanwaltschaft geforderte Straflager wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern wurde beim Prozess im Sommer 2020 in eine dreijährige Bewährungsstrafe mit Ausreiseverbot aus Russland umgewandelt. Jetzt habe er sehr plötzlich die Erlaubnis bekommen, in Hamburg zu arbeiten, hieß es.

Serebrennikow sagte laut Mitteilung des Theaters bei seiner Ankunft am Samstag am Hamburger Flughafen: «Ich bin sehr, sehr froh und glücklich, dass Hamburg die erste europäische Stadt ist, in der ich nach viereinhalb Jahren wieder arbeiten darf! Denn es ist zugleich die letzte Stadt, in der ich vorher gewesen bin. Das fühlt sich sehr gut an! Das ist ein gutes Zeichen, und bestimmt kein Zufall!»

Thalia-Intendant Joachim Lux sagte: «Ich freue mich sehr, Kirill Serebrennikow in Hamburg begrüßen zu dürfen. Das ist eine Ermutigung für die Idee der Freiheit und eine Ermutigung auch für die Kunst.» Er kenne kaum einen Künstler, der mit so großer Menschenfreundlichkeit, innerer Unabhängigkeit und Kompromisslosigkeit für die Freiheit der Kunst brenne und lebe.

Die Premiere von «Der schwarze Mönch» nach einer Erzählung des russischen Autors Anton Tschechow (1860-1904) ist für den 22. Januar zur Eröffnung der Lessingtage vorgesehen. Die Proben zu der internationalen Produktion mit russischen, deutschen, amerikanischen, armenischen und lettischen Künstlern begannen am 8. November in Moskau und werden seit 4. Januar in Hamburg fortgesetzt. Nach der Premiere werde Serebrennikow wegen eines internationalen Films nach Moskau zurückkehren. Geplant ist aber, ihn sowohl bei der Präsentation seines Films «Leto» (25. Januar) sowie bei einer Podiumsdiskussion am 30. Januar per Zoom zuzuschalten.

Der 52-Jährige hat in der Vergangenheit unter anderem auch schon in Stuttgart und Berlin inszeniert. Groß war die Solidarität in Deutschland, als dem Starregisseur in Moskau der Prozess gemacht wurde. Serebrennikow hatte stets seine Unschuld beteuert und fehlende Beweise beklagt. Weil er die Wirklichkeit oft schonungslos zeigt, macht sich der Opern- und Theatermacher immer wieder Feinde in der russischen Gesellschaft. Der Richterspruch stand als herber Schlag gegen die liberale Kunstszene in Russland in der Kritik.

Vor gut einem Jahr konnte Serebrennikow dann erstmals wieder nach seiner Zeit im Hausarrest im weltberühmten Bolschoi Theater in Moskau beim Schlussapplaus auf der Bühne stehen. Kurz darauf verlor er seinen Job als Theaterchef des international bekannten Gogol-Zentrums in der russischen Hauptstadt. Die russische Zeitung «Kommersant» schrieb im November, dass der Theatermacher seine Geldstrafe von 129 Millionen Rubel (umgerechnet 1,5 Millionen Euro) beglichen habe.

Im Frühjahr hatte Serebrennikow an der Staatsoper Wien Richard Wagners Musikdrama «Parsifal» inszeniert – wegen Reisebeschränkungen via Zoom. Nach der Weltpremiere beim Filmfestival in Cannes hatte Anfang September sein Film «Petrov’s Flu» («Petrows Grippe») in Moskau seinen Kinostart gefeiert. Der fast zweieinhalbstündige Streifen ist ein bewusst grotesk überdrehtes und zeitloses Kaleidoskop der russischen Gesellschaft.

Ebenfalls im September war in Moskau im Gogol-Zentrum sein für das Deutsche Theater in Berlin inszeniertes Stück «Decamerone» zu sehen. Das Theaterstück, das sich um die Pest dreht, gewinnt wie auch der Film «Petrov’s Flu» durch die Pandemie unerwartet an Aktualität.

Von Carola Große-Wilde und Christian Thiele, dpa

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